Ein bisschen von meiner Einstellung habe ich schon geschildert: Der Weg ist, wie er ist. Und den gehe ich. Problem werden dann gelöst, wenn sie entstehen. Der Rucksack und sein Inhalt bieten dazu eine gewisse Ressource. Aber er bietet nicht alle Ressourcen, die ich benötige. Da muss ich erst am Weg schauen.
Also: Was kommt, das kommt. Und wenn ich das geografische Ziel Assisi nicht erreiche, dann ist das eben auch ein Weg.
Ich gehe meine Weitwanderwege also nie so an, dass ich unbedingt am geografischen Ziel ankommen muss, sondern mir bewusst ist, dass es auch nicht gelingen kann.
Wenn also nicht das geografische Ziel das Ziel des Wanderns ist, was dann? Also, zuerst muss ich in Frage stellen, ob denn alles, was wir tun, immer ein Ziel braucht. Oder kann man nicht einfach etwas machen, weil man es einfach macht?
Aber wie dem auch sei: Die Frage nach dem Ziel ist dennoch eine Gute. Ich habe bisher vom Wandern gesprochen. Für mich ist es aber Pilgern. Wo liegt der Unterschied, denn weit gehen tut man bei beidem?
Der Unterschied liegt darin, dass ich alles Erlebte – und ich meine alles Erlebte, also nicht nur die äußeren Begebenheiten, sondern auch die inneren Vorgänge – spirituell reflektiere. Beim Pilgern ist man sich der eigenen Ausrichtung auf die Transzendenz bewusst. Diese bietet eine Hintergundfolie für das reflektierende Selbstverstehen.
Pilgern ist damit eine Möglichkeit, aus dem Alltag herauszutreten und sich und die Welt in wechselnden Situation in Hinblick auf etwas Größeres neu zu verstehen.
In diesem Sinn kann auch eine normale Wanderung zum Pilgern werden.
Traditionell ist mit dem Pilgern immer auch ein religiöses geografisches Ziel angepeilt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es das auch sein muss. Wie wohl ich zugeben muss, das religiöse Stätten auf dem Weg eine Hilfe sein können, sich besagter Transzendenz und ihrer möglichen Interpretation bewusst zu werden. Man kann es auch so sehen: Vorschläge zu erhalten, wie man sein Leben auch verstehen kann.
Am Ende muss ich aber zugeben, dass ich mich auch in einem Widerspruch befinde: Denn natürlich will ich innerlich auch das geografische Ziel erreichen. Ich möchte gern mit der Einstellung gehen: „Was kommt, das kommt.“ Aber ich weiß auch, dass ich enttäuscht bin, wenn ich meinen Plan nicht verwirklichen kann.
Vor allem bei meinen anfänglichen Pilgererfahrungen vor mehr als 15 Jahren habe ich das gemerkt. Ich bin es so ungeschickt angegangen, dass ich schon nach wenigen Tagen abbrechen musste. Da habe ich viel gelernt. Und aus dieser Lernerfahrung konnte ich dann auch im Jahr 2022 meinen Weg von La Verna über Assisi nach Rom mit mehr als 460 km gehen.
Und dennoch hatte ich immer die Einstellung, das annehmen zu wollen, was sich mir gerade stellt … in den Weg stellt. Und gleichzeitig will ich Assisi erreichen.
Hier tut sich also eine innere Spannung auf, ein Widerspruch, den ich nicht lösen kann. Das spricht für mein Leben: Ich möchte etwas Bestimmtes und zugleich möchte ich einfach das annehmen, was mir im Leben entgegentritt.
Ich spüre das innerlich als Kampf, der mich manchmal auch zerreißt. Und das habe ich diesmal auch erfahren: Diesen innerlichen Kampf bin ich diesmal beim Pilgern nicht losgeworden, sondern habe ihn mitgenommen, ausgefochten, aber bis heute nicht beendet.
Und noch eine Sache muss ich als Vorbemerkung anführen, denn einiges davon wird noch Thema werden, nämlich was ich gewöhnlich nicht esse und trinke:
Also: Ich trinke keinen Alkohol und keinen Kaffee.
Ich esse kein Fleisch.
Ich rauche nicht.
Wer jetzt glaubt, dass ich keine Laster habe, ist ein bisschen schief gewickelt. Aber das spielt hier keine Rolle.
Für jetzt mache ich Schluss. Das nächste Mal geht es dann endlich mit dem Weg los!