Transkript
Herzlich Willkommen zur 59. Episode.
Wenn diese Folge erscheint, hat Donald Trump in den USA nach einem kleinen Päuschen abermals das Amt des Präsidenten übernommen. Im Wahlkampf machte er sich unter anderem für die so genannte religiöse Rechten stark, verkaufte eine eigene Bibel um schlappe 60 US-Dollar und prägte dabei den Spruch: „Make America pray again“ / „Amerika wieder zum Beten bringen“. Sich selbst bezeichnet er als konfessionslosen Christ.
Mit den religiösen Rechten ist jene Bevölkerungsgruppe gemeint, die politisch als rechtskonservativ bis rechtsextrem bezeichnet werden kann. Sie wollen die USA wieder zu einer patriachalen, weiß dominierte Gesellschaft zurückführen. Wobei: zurückführen? Es ist die Frage, ob die USA das jemals waren oder ob es da nicht um eine typische Vergangenheitsrekonstruktion handelt. Es wird eine homogene Gesellschaft eines Landes imaginiert, die es in der Vergangenheit gegeben haben soll.
Jedenfalls sehen die religiösen Rechten in der Gleichstellung schwarzer Menschen, Homosexueller und Transpersonen, in der modernen Wissenschaft, die anscheinend dem Glauben wedersprichen soll, und in der Zulassung von Schwangerschaftsabbrüchen eine Bedrohung dieser zukünftigen christlichen Gesellschaft.
Konfessionell gehören zu dieser Gruppe vor allem evangelikale und römisch-katholische Christen sowie die Mormonen. In Donald Trump sehen sie den Anführer einer Nation, die wieder von christlichen Werten geprägt sein soll. Also zumindest, was sie unter christlichen Werten verstehen.
Zurecht ist aber die Frage aufgetaucht, ob Donald Trump überhaupt ein solch christlicher Anführer sein kann: Er äußert sich immer wieder fremden- und frauenfeindlichen und hatte Umgang mit Prostituierten. Er wurde wegen sexuellen Übergriffen, Verleumdung, Schweigegeldzahlungen und Fälschung von Geschäftsunterlagen verurteilt. Kurz gesagt: Konservative Christen würden ihn als Sünder bezeichnen.
Für religiöse Menschen stellt sich also die Frage: Kann ein Sünder zum Anführer einer christlichen Nation werden?
Dieser Diskurs wurde und wird in den USA geführt. Und die meisten rechten Christen werden diese Frage wohl bejahen. Denn Gott könne sich auch eines Sünders bedienen, ihn zum Instrument seiner Sache gebrauchen. Kann man sich mit dieser Ansicht nicht auf die Bibel berufen, wo Gott auch Sünder beruft?
Genau dieser Frage möchte ich heute nachgehen. Dabei wird sich auch zeigen, dass unsere übliche Vorstellung von Berufung zu überdenken ist. Es geht also nicht nur um Donald Trump – das wäre ja langweilig – sondern auch um Berufung im Allgemeinen.
Zuvor möchte ich mich bei allen treuen Hörerinnen und Hörern bedanken. Es freut mich, wenn ihr meine Folgen mit eurem Netzwerk teilt, sodass sie auch andere hören können. Nachrichten von euch und Kommentare auf meiner Webseite lese ich immer gern. Ganz herzliches Danke an all jene, die mich über ko-fi oder PayPal auch finanziell unterstützen. Das hilft mir, meine Online-Angebote nicht durch lästige Werbung finanzieren zu müssen.
– Und jetzt geht’s los.
Also, steigen wir direkt mit der Frage ein: Beruft Gott Sünder, um eine christliche Nation aufzubauen?
Gleich vorweg müssen zwei Klarstellungen gemacht werden:
1. Die Frage, ob Gott überhaupt eine christliche Nation will, wie es sich die rechtskonservativen Christen vorstellen, lasse ich dahingestellt sein. Die Frage wäre ja, was eine solche Nation überhaupt sein soll. Aber das möchte ich in dieser Folge nicht besprechen.
2. Die Frage, ob Gott Sünder beruft, kann aus christlicher Sicht eigentlich ganz einfach beantwortet werden: Da alle Menschen Sünder sind, bleibt Gott ja gar nichts anderes übrig, will er überhaupt jemanden berufen. Damit scheint die Frage schon beantwortet zu sein.
Worauf uns aber die Diskussion um Herrn Trump stößt, ist die Frage, wie schwer die Sünden sein dürfen, um als berufener Führer einer Nation zu gelten. Man setzt also voraus, dass es mehr oder weniger große Sünden und damit mehr oder weniger große Sünder gibt. Und Herr Trump scheint nach der Überzeugung vieler ein sehr großer Sünder zu sein. Hätte er ein paar Sünden weniger, würde er wohl eher als ein solcher Anführer in Frage kommen. Meinen zumindest einige.
Wir werden dieser Spur nach der Größe der Sünde nochmals aufgreifen. Zuvor möchte ich etwas über das Berufungskonzept generell sagen: Bei diesem Konzept stellen wir uns vor, dass es einen Gott gibt, der zu einem Menschen sagt, was er zu tun hat. Dabei kann es bis hin zum instrumentellen Verständnis dieses Konzeptes kommen. Das bedeutet: Der berufene Mensch stellt sich ganz als Werkzeug Gott zur Verfügung.
Wir haben also vier Komponenten dieses populären Berufungs-Konzeptes:
1. Berufung ist keine Stimme von einem Mensch an einem Menschen, auch keine Stimme, durch die der Mensch zu sich selbst spricht. Berufung kommt immer von außen, also von Gott. Oder anders gesagt: Wenn ich eine innere Stimme oder die Stimme eines anderen Menschen als Berufung wahrnehme, dann muss sich durch diese Stimme hindurch der Ruf Gottes erkennbar machen.
2. Der Mensch wird durch die Berufung zum Werkzeug Gottes, wie ein Hammer für den Menschen, der einen Nagel in die Wand schlagen möchte. Darin enthalten ist auch die Vorstellung, dass der Mensch seine Freiheit aufgibt und ganz das tut, was Gott von ihm will.
3. Jeder Mensch ist berufen. D. h. die Berufung trifft nicht mehr besondere Menschen, sondern alle Menschen. Berufung wird verallgemeinert.
4. Da nun der Einzelne durch eine besondere Stimme berufen wird, kann auch nur dieser Einzelne entscheiden, ob und wie er berufen ist. Berufung wird verstanden als eine intime Angelegenheit, bei der keiner mitreden kann und soll.
Ich möchte hier nicht ausführlich dieses Berufungskonzept besprechen, sondern nur ein paar kritische Anmerkungen machen, die vor allem im Vergleich mit dem erfolgen, was wir in der Bibel lesen können.
1. Die erste Komponente stimmt sicherlich mit dem überein, was wir in der Bibel lesen können. Gott – manchmal in der Gestalt von Engeln oder Menschen – tritt auf und sagt einer Person, was sie tun soll oder was mit ihr geschehen wird. Nirgends in der Bibel gibt es eine Berufungserzählung, wo ein Mensch auf einen eigene Einfall gekommen wäre, den er als Berufung verstanden hätte.
2. Der Werkzeug-Charakter widerspricht aber der Bibel. Gott bedient sich nicht eines Menschen wie eines Hammers. Allzuoft sehen wir, wie die Berufenen Gott widersprechen, wie sie mit ihm etwas aushandeln, wie Gott seine Berufung an den Berufenen anpasst oder wie er dem Berufenen hinterherlaufen muss.
Ich nenne nur Mose, der sich selbst zum Sprechen vor dem Volk als unfähig sieht. Also setzt Gott Aaron ein, um das Problem zu lösen. Außerdem ist Mose – und auch Abraham – nicht mit allen Entscheidungen Gottes einverstanden, was ihn dazu bringt, mit ihm zu verhandeln und umzustimmen. Und Jona ist letztlich ganz unzufrieden mit Gott und es bedarf einer großen Überredungskunst Gottes, damit Jona das tut, was Gott von ihm möchte.
Kurz gesagt: Gott akzeptiert die Freiheit und Schwächen der Berufenen und reagiert darauf. Mit der Berufung ist die Freiheit nicht außer Kraft gesetzt. Daher ist es sprachlich vielleicht besser, nicht von Werkzeug, sondern von Indienstnahme zu sprechen. Aber lassen wir jetzt mal die Wortklauberei.
3. Auch die dritte Komponente ist unbiblisch: Nicht jeder ist berufen. Also nicht jeder einzelne ist berufen.
Natürlich kann man das Volk Gottes als ganzes als berufen ansehen, als Volk zu Gott zu gehören. Aber da geht es um eine Berufung eines Kollektives und nicht eines Einzelnen.
Dass jeder berufen sein soll, ist eine Ansicht der neuzeitlichen Entwicklung des Individuums. Und heute ist dieser Individualismus so weit fortgeschritten, dass wir uns gar nicht mehr als Kollektiv wahrnehmen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass wir nicht mehr als Kollektiv, als Volk, als Gemeinschaft, als Gesellschaft, sondern nur noch als Individuen berufen sind. Also nicht mehr alle sind berufen, sondern jeder und jede einzelne. So die Vorstellung.
Dabei orientieren sich die Berufungskonzepte an jenen der Bibel. Auch da wurden Einzelne berufen, vor allem Könige, Propheten und Prophetinnen und Apostel. Da auch das Einzelne sind, meint man, sie mit dem Jeder unserer Zeit in Verbindung bringen zu können.
Das ist aber ein Trugschluss: Berufen wurden diese Einzelnen immer als Führer eines Volkes, dass in die Krise geraten ist. Mit der Berufung dieser Einzelnen geht es immer darum, das Volk als Ganzes aus der Krise zu holen, auf den rechten Weg zurückzubringen oder ein Leben im Sinne Gottes zu fördern. Der oder die Berufene ist immer berufen für das Alle, nicht für sich und nicht für einige.
Daher braucht Gott nicht jeden zu berufen, sondern immer nur Einzelen, denen er die Möglichkeit zutraut oder verleiht, das Volk zu weiden – wie es so schön biblisch heißt.
4. Auch die vierte Komponente ist unbiblisch: Es entscheidet nie nur der Berufene, ob und wie er berufen ist. Immer muss er von der Gemeinschaft als solcher anerkannt werden. Manche – wie zum Beispiel Mose – müssen großen Aufwand betreiben, damit das Volk sie als berufene Führer anerkennt. Auch viele Propheten, von denen wir heute so selbstverständlich in der Bibel lesen, wurde zu ihrer Zeit oft nicht anerkannt. Ihre Anerkennung erhielten sie oft erst nach ihren Tod, sodass Schriften von und über sie in die Bibel eingegangen sind. Beispielsweise kann man im Buch Amos diese frühe Auseinandersetzung nachlesen.
Mit anderen Worten: Berufung braucht immer auch die Anerkennung durch die Gemeinschaft, wobei diese Anerkennung oft sehr spät erfolgen kann. Der Berufene muss immer das Risiko des Scheiterns eingehen, das Risiko, sich in seiner Berufung verhört zu haben, das Risiko, als verrückt abgestempelt zu werden.
Das bringt mich jetzt wieder zu Donald Trump zurück: Er könnte doch als ein solcher Führer angesehen werden. Er ist ein Einzelner, der eine ganze Nation wieder auf den rechten Weg zurückbringen soll. Oder? Ach ja, da war ja noch das kleine Detail, dass er als großer Sünder gilt. Hätte ich fast vergessen.
Aber zeigt nicht gerade die Bibel, dass Gott auch die großen Sünder beruft?
Schauen wir wieder auf Mose: Der erschlug einen Ägypter und verscharrte ihn dann. Er wollte natürlich sein Verbrechen verbergen. Das gelang ihm nicht und er musste fliehen. Später kehrte er als Berufener zurück, um sein Volk aus der Skalverei zu befreien.
Schauen wir auf Rahab. Sie war Prostituierte in Jericho, beschützte die israelistischen Spione und rettete ihnen das Leben. (Nebenbemerkung: Egal, wie wir heute Prostitution bewerten, für die Bibel ist es Sünde.) Im Neuen Testament gilt sie als Frau des Glaubens.
Was die Bibel zeigt, ist, dass alle Berufenen ihre zuvor gemachten Fehler bereuen und von da ab ein neues Leben führen.
Moment mal! Gibt es da nicht ganz andere Typen, die genau das Gegenteil zeigen? Was ist mit König David oder Petrus.
Ich gebe zu: Ich war zu voreilig. Absichtlich. Denn jetzt können wir differenzieren.
Schauen wir zuerst auf Petrus: Er wurde von Jesus in die Nachfolge gerufen und er wurde zum Sprecher der Apostel, weil er als erster das Messias-Bekenntnis abgelegt hat. Beim Prozess Jesu verleugnete er ihn aber, distanzierte sich von ihm, bezeichnete ihn nicht mehr als Messias, sondern als Mensch.
Schauen wir auf David: Er wird als junger Mann zum König berufen, indem er vom Propheten Samuel gesalbt wurde. Er gewann gegen den Philister Goliath und diente jahrelang dem König Saul. Dann wurde er König, er folgte seiner Berufung.
Hat er nun nicht mehr gesündigt? Ganz im Gegenteil: Er verliebte sich in die verheiratete Bathseba, ließ ihren Mann töten und vergewaltigte sie.
Das zeigt wieder, dass Berufene auch nach ihrer Berufung weiterhin sehr große Sünder sein können. Also haben wir wieder einen Pluspunkt für Donald Trump.
Ihr könnt euch schon denken, dass jetzt ein Aber kommt. Es muss kommen. Denn was David und Petrus auch zeigen: Gott gibt ihnen die Möglichkeit der Umkehr und – und das ist jetzt das Wichtige: Sie kehren tatsächlich auch um.
Je nach Evangelium sieht Petrus selbst ein, dass er versagt hat oder wird nochmals ausdrücklich von Jesus zum Weiden der Herde Gottes aufgefordert. Zu David wird der Prophet Nathan geschickt, der ihm den Spiegel seiner Schandtaten vorhält. Daraufhin sieht David seine Verfehlung ein und tut Buße. Der Psalm 51 ist ein beredtes Beispiel dafür.
Die Bibel sagt, dass Gott diesen Anführern, die gesündigt haben, immer noch ein Chance zur Umkehr einräumt. Egal, wie groß die Sünde ist. Kehren sie um, werden sie das Volk auch in eine gute Richtung lenken können. Nehmen sie die Umkehr nicht an, entfernt sie Gott von ihrer Leitung, wie er es zum Beispiel mit König Saul gemacht hat. Geht es nach dem Alten Testament, lässt Gott sündige Führer, die nicht bereit zur Umkehr sind, auch nicht in ihrer Funktion. Gott zieht seine Berufung zurück. Niemand muss für immer berufen sein.
Wenn wir jetzt ganz in diesen Kategorien denken, dann könnten wir doch folgendes sagen: Donald Trump kann nur Führer einer christlichen Nation sein, wenn er seine Sünden einsieht und umkehrt. Tut er es nicht, wird er zu Fall kommen. Solange er aber nicht umkehrt, kann er nicht als ein solcher Führer gelten. Aber die Chance wäre da. Auch für ihn.
Jetzt kommt noch ein abschließendes ABER. Ein großes. Ich habe es schon angedeutet und muss es jetzt genauer ausführen: Ich glaube nicht daran, dass es überhaupt christlich ist, eine solch christliche Nation mit einem berufenen Anführer zu wollen. Ich glaube nicht daran, dass es überhaupt christliche Nationen auf dieser Welt braucht und schon gar nicht im rechtskonservativen bis rechtsextremen Sinn. Denn die religiösen Rechten wollen eine solche Nation letztlich nur durch Unterdrückung, Missachtung von Freiheit und Ausschluss von Menschengruppen erreichen.
Christlich ist es, an einer Welt ohne einengende Grenzen, in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu bauen.
Ich glaube auch nicht, dass Gott umkehrunwillige Führer einfach so entfernt. Das ist für mich eine zu naive Vorstellung vom Tun Gottes. Ebenso ist es aus meiner Sicht naiv, eine demokratische Wahl einfach als Einsetzung eines Führers durch Gott zu verstehen. Aber all das wollte ich in dieser Folge nicht diskutieren.
Jedenfalls: Eine Welt im christlichen Sinn muss nicht unbedingt durch politische Anführer verwirklicht werden, die sich ausdrücklich als christlich verstehen. Viele können an einer solchen Welt bauen, die nichts mit dem Christentum am Hut haben.
Und wenn sich „Anführer“ – unter Anführungszeichen – als christlich verstehen, dann müssen sie keine politischen sein. Viele große Christen hatten wiederum mit der Politik nichts am Hut.
Ich hoffe, dass durch diese Andeutungen klar geworden ist, dass ich dieser Art des politischen Christentum ablehnend gegenüber stehe. Es gibt noch eine andere Art des politischen Christentums, aber die soll vielleicht in einer anderen Folge besprochen werden.
Was ich zeigen wollte, ist: Wenn wir schon von Berufung sprechen, dann macht Gott auch nicht vor den größten Sündern halt. Er räumt ihnen immer wieder die Chance zur Umkehr ein, die sie auch ergreifen müssen, wollen sie berufen bleiben. Alles andere macht sie unglaubwürdig. Darüber hinaus muss nicht jeder berufen sein. Aber wenn jemand berufen ist, dann immer zum Wohle aller Menschen.