Ägypten verhaftet TikTok-Influencer:innen wegen „Moralverstößen“ – vage Gesetze, Kritik von Menschenrechtsgruppen. Haben Sie wirklich gegen die Sitten verstoßen und Geld gewaschen oder unrechtmäßig erworben?
In den letzten Wochen hat die ägyptische Regierung eine auffällige Welle von Verhaftungen gegen vor allem jugendliche TikTok-Influencer:innen gestartet. Die Vorwürfe reichen von „Verstößen gegen familiäre Werte“ bis hin zu Geldwäschebeschuldigungen. Besonders alarmierend: Die Vorwürfe basieren oft auf der Auslegung äußerst vager Gesetze, etwa eines Artikels des Cybercrime-Gesetzes von 2018, der „Eingriffe in familiäre Prinzipien oder Werte der ägyptischen Gesellschaft“ kriminalisiert. Die Unschärfe dieser Formulierungen erlaubt eine breite und gezielte Anwendung – insbesondere gegen junge, sichtbare Online-Persönlichkeiten.
Spitzenfall: Suzy El Ordonia – Von Viralität zur Inhaftierung
Im Zentrum vieler Berichte steht die 19-jährige Influencerin Mariam Ayman, bekannt als „Suzy El Ordonia“ mit rund 9,4 Millionen Followern. Sie wurde am 2. August verhaftet – offiziell wegen Verbreitung „unanständiger Inhalte“ und mutmaßlicher Geldwäsche in Höhe von 15 Millionen ägyptischen Pfund (ca. 277.800 Euro).
Ihre Inhalte, einst Harmlos wie Make-up-Routinen, Tanzvideos oder Alltagsszenen mit ihrer Schwester (die eine Behinderung hat), reichten offenbar aus, um sie ins Gefängnis zu bringen. Rechtsexperten weisen darauf hin, dass solche Inhalte auch im staatlichen Fernsehen unproblematisch wären – die Anwendung der Gesetze sei willkürlich und inkonsistent.
Weitere Betroffene: Om Makkah, Om Sajda & Co.
Nicht nur Suzy ist betroffen: Laut Berichten wurden mindestens sieben weitere TikTok-Creator:innen festgenommen – meist Frauen, darunter Om Makkah und Om Sajda. Begründet wurden die Maßnahmen mit „unanständiger Sprache“, Verletzung der öffentlichen Anständigkeit und Zweifeln an ihrer „Einkommensquelle“. Die EIPR (Egyptian Initiative for Personal Rights) fordert ein Ende dieser moral- und klassenbasierten Kriminalisierungen – insbesondere, da die Einnahmen oft legal und transparent sind.
Noch skurrilere Fälle: „Yasmine“ entpuppt sich als Mann
In einem Fall, der Schlagzeilen machte, wurde eine populäre TikTok-Persönlichkeit namens „Yasmine“, angeblich weiblich, als 18-jähriger Mann enttarnt – Abdul Rahman. Er hatte sich verkleidet, um Aufmerksamkeit zu generieren und Einnahmen zu realisieren. Im Anschluss wurde er wegen Verstoßes gegen die öffentlichen Moralvorstellungen und wegen Impersonation angezeigt.
Kunst vs. Moral: Der Fall Linda Martino
Parallel zur TikTok-Kontrolle trifft es auch andere Influencer:innen: Die italienisch-ägyptische Bauchtänzerin Linda Martino (über 2 Millionen Instagram-Follower) wurde am 22. Juni am Flughafen Kairo festgenommen. Ihr werden Verhaltensweisen vorgeworfen, die „öffentliche Moral verletzen“ – darunter Einsatz „verführerischer Techniken“ und das Tragen provokativer Kleidung in ihren Tanzvideos. Ihrndroht eine einjährige Haftstrafe. Die italienische Botschaft setzt sich inzwischen diplomatisch für ihre Freilassung ein.
Rechteorganisationen schlagen Alarm
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und die EIPR warnen, dass Ägypten mit solchen Maßnahmen Grundrechte wie Meinungs- und künstlerische Freiheit untergräbt. Amnesty dokumentierte bereits 2020 zahlreiche Fälle von Verhaftungen junger Frauen aufgrund dubioser Anschuldigungen wie „Unzucht“ oder Verstößen gegen familiäre Werte. Auch der jüngste Vorstoß bleibt in diesem Kontext: Über 150 Personen wurden in den letzten Jahren beschuldigt oder angeklagt – vermutlich weit mehr als offiziell bekannt.
Das diese Voorgänge in Ägypten schon lange Praxis sind, zeigt diese Dokumentation aus dem Jahr 2020: