Karlheinz Six

Anglikanische Kirche: Distanz zu England wird größer

BIld: Anglikanische Kirche: Distanz zu England wird größer

Die Ernennung von Sarah Mullally zur ersten Erzbischöfin von Canterbury markiert einen historischen Wendepunkt – und entfacht hitzige Debatten unter Anglikanern in Afrika. Zwischen Freude über Fortschritt und Sorge um Tradition zeigt sich, wie tief die weltweite Kirche gespalten ist.


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Eine historische Wahl in Canterbury

Bild: Mullally
Mullally – Blog Africa fly up

Mit der Ernennung von Dame Sarah Mullally zur ersten Erzbischöfin von Canterbury hat die Church of England im Oktober 2025 ein historisches Kapitel aufgeschlagen. Nach Jahrzehnten schrittweiser Reformen – von der Ordination von Frauen zu Priesterinnen in den 1990er-Jahren bis zur Ernennung weiblicher Bischöfinnen seit 2015 – hat nun erstmals eine Frau das höchste geistliche Amt der Kirche übernommen. Mullally, bisher Bischöfin von London, gilt als Brückenbauerin zwischen konservativen und progressiven Strömungen. Doch ihre Wahl hat nicht nur Jubel ausgelöst. Besonders in Teilen der afrikanischen anglikanischen Kirchen sorgt sie für tiefe Irritation – und teilweise scharfe Ablehnung.

Kontroverse Reaktionen aus Afrika

Die anglikanische Gemeinschaft in Afrika reagierte gespalten auf die Nachricht aus England. In vielen Ländern des Kontinents sind die Kirchen theologisch konservativer geprägt als ihre europäischen oder nordamerikanischen Partnerkirchen. Entsprechend fällt die Reaktion auf die Wahl einer Frau an die Spitze der weltweiten Gemeinschaft ambivalent aus.

Strikte Ablehnung in konservativen Provinzen

In Uganda, Nigeria und im Südsudan wurde die Entscheidung deutlich kritisiert. Der ugandische Erzbischof Stephen Kaziimba Mugalu sprach von einer „traurigen Nachricht“, die im Widerspruch zur historischen Glaubenstradition stehe. Auch der nigerianische Primas Henry Ndukuba nannte die Wahl „verheerend“ und „unsensibel“, insbesondere weil Mullally als Befürworterin der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gilt. Diese Position gilt in vielen afrikanischen Kirchen als unvereinbar mit biblischen Lehren und wird als Zeichen einer zunehmenden „Verweltlichung“ der Church of England verstanden.

Einige afrikanische Provinzen gingen noch weiter: Vertreter der nigerianischen und ugandischen Kirchen erklärten, sie würden Mullallys Autorität als geistliche Führerin der Anglikanischen Gemeinschaft nicht anerkennen. Damit wächst die Gefahr, dass sich konservative Kirchen – ähnlich wie in den vergangenen Jahren in Fragen der Sexualmoral – zunehmend institutionell von Canterbury lösen.

Stimmen der Unterstützung und Hoffnung

Doch nicht überall wird die Ernennung abgelehnt. In Südafrika begrüßte Thabo Makgoba, Erzbischof von Kapstadt, den Schritt als „ermutigendes Zeichen“ und Ausdruck der göttlichen Vielfalt. Er betonte, dass die Kirche in der Lage sein müsse, sich zu erneuern, ohne ihre geistlichen Wurzeln zu verlieren. Auch Emily Onyango, Bischöfin in Kenia, äußerte vorsichtige Zustimmung: Die Wahl könne ein Anstoß sein, über Geschlechterrollen, Leiterschaft und das Zuhören innerhalb der Kirche neu nachzudenken.

Diese Stimmen zeigen, dass auch in Afrika ein Umdenken stattfindet – langsam, aber spürbar. Jüngere Generationen, insbesondere Frauen, sehen in Mullallys Ernennung einen Beweis dafür, dass Berufung und Begabung nicht an Geschlechtergrenzen gebunden sind.

Die Reaktionen machen deutlich, wie tief die Spannungen innerhalb der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft inzwischen reichen. Während in England Themen wie Gleichstellung, Inklusion und gesellschaftliche Relevanz im Vordergrund stehen, betonen viele afrikanische Kirchen die Bedeutung von Schrift und Tradition. Diese unterschiedlichen theologischen Perspektiven führen immer wieder zu Konflikten – sei es in Fragen von Geschlechterrollen, Sexualethik oder kirchlicher Autorität.

Das spirituelle Oberhaupt

Der Erzbischof von Canterbury ist das geistliche Oberhaupt der Church of England und zugleich das symbolische Oberhaupt der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft mit rund 85 Millionen Mitgliedern. Seine Autorität ist jedoch nicht hierarchisch, sondern eher moralisch und repräsentativ – jede nationale Kirche bleibt rechtlich und theologisch eigenständig.

Historisch geht das Amt auf das 6. Jahrhundert zurück, als Augustinus von Canterbury das Christentum nach England brachte. Das heutige Gesicht der Kirche geht allerdings auf die Reformation im 16. Jahrhundert zurück.

Das schwierige Verhältnis zwischen Canterbury und Afrika

Die Beziehung zwischen der Church of England und den afrikanischen anglikanischen Kirchen war immer ambivalent. Historisch betrachtet brachten englische Missionare im 19. Jahrhundert das anglikanische Christentum nach Afrika – oft verbunden mit kolonialen Strukturen. Heute haben sich die Gewichte verschoben: Während die Mitgliederzahlen in Europa sinken, wächst die Kirche in Afrika rasant. Länder wie Nigeria, Uganda und Kenia stellen inzwischen den Großteil der weltweit rund 85 Millionen Anglikanerinnen und Anglikaner.

Diese demografische Verschiebung hat auch theologische Konsequenzen. Viele afrikanische Kirchen sehen sich als Hüter des ursprünglichen Glaubens und betrachten die Entwicklungen in England – etwa in Fragen von Geschlecht, Sexualität und liturgischer Praxis – als Ausdruck westlicher Anpassung an den Zeitgeist. Umgekehrt betont die Church of England ihre Verantwortung, den Glauben in einer sich wandelnden Gesellschaft relevant zu halten.

Zwischen beiden Seiten besteht somit ein Spannungsverhältnis aus gegenseitiger Abhängigkeit und wachsender Entfremdung. Die Ernennung von Sarah Mullally hat dieses Spannungsfeld erneut sichtbar gemacht: Sie steht sinnbildlich für den Versuch einer Kirche, Tradition und Moderne miteinander zu versöhnen – und für den Widerstand jener, die darin einen Bruch mit der kirchlichen Identität sehen.

In Afrika mehren sich die Stimmen, die ein eigenes spirituelles Oberhaupt oder eine unabhängige Leitungsstruktur für die anglikanische Kirche fordern. Besonders innerhalb der konservativen Netzwerke GAFCON und GSFA wird offen darüber gesprochen, die Autorität des Erzbischofs von Canterbury nicht länger anzuerkennen. Nach der Ernennung von Sarah Mullally erklärten einige afrikanische Kirchen, darunter die Church of Nigeria, ihre „geistliche Unabhängigkeit“ von Canterbury. Zwar existiert noch kein gemeinsames afrikanisches Oberhaupt, doch der Wunsch nach einer stärker regional verankerten Führung wächst – als Ausdruck theologischer Selbstbestimmung und kultureller Eigenständigkeit innerhalb der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft.

Beiträge von Deutschlandfunk Kultur – Tag für Tag

Anglikanische Kirche: Sarah Mullally ist erste Erzbischöfin von Canterbury

Ist die Anglikanische Kirche im Wandel? Interview mit Kai Funkschmidt

Quellen

https://www.reuters.com/world/uk/uk-names-mullally-first-female-archbishop-lead-church-england-2025-10-03

https://www.theguardian.com/world/2025/oct/03/sarah-mullally–named-first-female-archbishop-of-canterbury

https://www.thisdaylive.com/2025/10/04/conservative-anglicans-kick-as-church-of-england-names-first-female-archbishop-of-canterbury

In Africa, new Canterbury archbishop is celebrated by some, challenged by conservatives

Uganda’s Anglican Church Rejects Appointment of First Female Archbishop of Canterbury

https://www.pulse.ug/articles/news/ugandas-kaziimba-mugalu-protests-appointment-of-first-female-archbishop-of-canterbury-2025100406213448301

https://www.vanguardngr.com/2025/10/just-in-nigerias-anglican-church-breaks-from-canterbury-over-pro-gay-female-archbishop

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