Karlheinz Six

Carlo Acutis

Bild: Die drei Heiligen von Assisi - Carlo Acutis

Assisi hat viele Heilige hervorgebracht. Nicht nur drei. Aber v. a. zwei sind heute noch in aller Munde. Und ein dritter ist erst vor Kurzem hinzugekommen, der allerdings kein Kind dieser Stadt ist, nämlich Carlo Acutis.

Die Heiligenverehrung

Aber zuvor noch ein Wort zur Heiligenverehrung: Bekanntlich nimmt die Heiligenverehrung besonders in der römisch-katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert ein. Vieles an den traditionellen Verehrungsformen und der damit verbundenen Theologie ist sehr fragwürdig. Ich selbst sehe in den Heiligen weder jene, die ständig vor Gott stehen und Fürbitte für uns halten noch im strengen Sinn Vorbilder, die genauso nachgeahmt werden sollen. Vielmehr sollen sie als Leuchttürme, als Orientierungspunkte auf der Fahrt des Lebens dienen. Sie sind nicht das Ziel, sondern Richtungsanzeiger, die markieren, wo man möglicherweise auflaufen könnte. Wir haben unseren eigenen Kurs zu finden.

Ich kann den Hype nicht nachvollziehen

Aber nun zurück zu besagtem Carlo Acutis. Ich kann den Hype um diese Person nicht nachvollziehen. Oder besser gesagt: Ich kann diesen Hype nur unter kirchenpolitischen Aspekten nachvollziehen. Aber dazu später mehr.
Zuvor ist es sinnvoll zu erzählen, wer das überhaupt ist.

Carlo Acutis wurde 1991 in London von italienischen Eltern geboren. Sein Vater war Investmentbanker. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Mailand.

Den Glauben im römisch-katholischen Sinn hat er als Kind durch sein polnisches Kindermädchen entdeckt. Als Jugendlicher begann er sich in einer Pfarre zu engagieren. Neben dem Glauben interessierte er sich auch für Computer und baute eine Webseite auf, auf der er alle „Eucharistischen Wunder“ auflistete. Darunter versteht man „wunderbare“ Ereignisse, die sich rund um die Hostie ereignen. So z. B. dass eine Hostie zu bluten beginnt oder dass während der Wandlung Jesus erscheint. Darin enthalten ist auch eine saftige Judenfeindlichkeit. Dazu aber weiter unten mehr.

Eine zweite Webseite sollte alle Marienerscheinungen darstellen. Zudem hat er Obdachlose und sozial schlecht gestellten Menschen ohne Wissen der Eltern mittels Geld- und Sachleistungen geholfen.

Anfang Oktober 2006 wurde eine aggressive Form von Leukämie diagnostiziert. Nur wenige Tage später verstarb Carlo in einer Spezialklinik in Monza im Alter von 15 Jahren.

Ein Leichnam auf Touren

Schon unmittelbar nach seinem Tod erfuhrt er prominenete Unterstützer im Vatikan, die zunächst eine Wanderausstellung zu den Hostienwundern organisierten. Schon bald wollte man auch einen Seligsprechungsprozess, der 2013 eingeleitet wurde. 2020 erfolgte die Seligsprechung. Die Heiligsprechung erfolgt am 27. April 2025.

Aber welchen Bezug hat Carlo nun zu Assisi? Er war sehr oft in dieser Stadt und wollte ausdrücklich dort auch begraben werden. Tatsächlich wurde er zunächst in Ternengo, 100 km westlich von Mailand bestattet. Schon im Jänner 2007 wurde der Leichnam allerdings in den Friedhof von Assisi umgebettet.

2019 wurde der Leichnam allerdings exhumiert. Ihm wurde das Herz entnommen. Heute steht dieses in einem Reliquiar in einem Seitenaltar des Domes San Rufino. Der restliche Leichnam wurde konserviert und das Gesicht mit einer Wachsmaske belegt. Carlo kann heute in einem Glassarg liegend in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi betrachtet werden.

Bild: Carlo Acutis
Carlo Acutis im Glassarg in der Kirche Santa Maria Maggiore

Viele Gläubige finden sich dort ein, beten auf Knien davor und berühren den Sarg.

Ein kirchenpolitisches Instrument in Zeiten des Missbrauchs

Eigentlich sind alle diese Vorgänge sehr traditionell katholisch. Und doch denkt man sich, dass doch die Kirche heute einen Schritt weiter sein könnte.

Carlo ist für die heutige Zeit ein willkommener Heiliger: Er ist ein Jugendlicher; genauer: Er ist der erste Millennial unter den Heiligen. Er war auch nicht nur auf Kirche fixiert, sondern kann aufgrund seiner Affinität zu Computern auch als modern betrachtet werden. Ja, er wird sogar als Influencer bezeichnet, obwohl es diese Anfang der 2000er-Jahre noch gar nicht gegegeben hat.

Kirchenpolitisch hängt an ihm auch die Erwartung, dass er die Jugend anspricht. Vor allem in einer kirchlichen Situation, wo ihr ständig ein Missbrauchsskandal nach dem anderen um die Ohren fliegt. Einer der vehementesten Befürworter der Verehrung Carlos, Angelo Comastri, war in den ersten Missbrauchsskandal involviert, der sich innerhalb des Vatikanstaates abgespielt hat. Comastri selbst hat keine Gewalt an Kinder ausgeübt, aber möglicherweise zu wenig für die Prävention innerhalb eines Knabensemiares unternommen, für das er verantwortlich war. Angeklagt wurde er diesbezüglich nicht, obwohl die eigentlichen Täter vor Gericht standen.

Leichenteile auf Touren

Bild: Herz von Carlo Acutis
Herz von Carlo Acutis

Rund um seine Verehrung erfährt eine traditionelle Spiritualität wieder Aufwind, von der man dachte, dass ihre Zeit vorbei sei: So die Darstellung von Organen, in diesem Fall das Herz. Dieses tourte auch durch Europa, sagte man. Jedoch war es lediglich ein kleines Herzgewebe, dass man durch die Lande karrte, damit sich die Gläubigen daran ergötzen können.

In Österreich dürfen sich sowohl die Pfarre Wolfsberg (Kärnten) als auch der burgenländische Pfarrverband Carlo Acutis in Besitz einer Reliquie des Heiligen erfreuen. Es ist also immer noch gewünscht, Leichen zu zerfleddern und die Teile über die Welt zu vertreuen. Bald wird man das auch mit Computertastaturen und Festplatten tun. Sie wird man dann auch in eigenen Schreinen in Kirchen bewundern können.

Und noch eine traditionelle Spiritualitätsform feiert fröhliche Urständ: Nachdem Carlo ja alle Eucharistischen Wunder aufgelistet hat, wird gerade dort, wo er verehrt wird, auch wieder vermehrt die Eucharistische Anbetung vorgenommen. Für jene, die das nicht kennen: Da steht eine Monstranz, meist am Altar, in dem sich eine große Hostie befindet und vor der gebetet wird.

Ihr merkt schon, dass ich mich eher polemisch dagegen absetze. Auf eine tiefer gehende theologische Diskussion möchte ich mich an dieser Stelle nicht einlassen.

Wo liegt die spirituelle Kraft?

Viel entscheidender ist folgendes: Sicherlich war Carlo Acutis sehr im Glauben verankert und hat sich nicht nur mit Wunder beschäftigt, sondern auch sozial benachteiligten Menschen geholfen. Ist das aber Grund genug für eine Heiligsprechung? Aus meiner Sicht nicht. Wenn man sich die beiden anderen großen Heiligen von Assisi, Franz und Klara, aber auch die Brüder und Schwestern, die ihnen folgten, ansieht, kann ich nicht verstehen, wie dieser Junge gleichrangig neben ihnen verehrt werden kann. Wer aber heute nach Assisi reist, kommt an Carlo Acutis nicht vorbei.

Ich habe Heilige am Beginn des Beitrages als Leuchttürme bezeichnet. Carlos Licht wird von vielen so gelesen, dass es in eine Restauration traditionalistischer Spiritualiltät führt. Ich glaube, dass dies sogar die Kirche stärken kann, jedoch nur bei einem kleinen Klientel. So wird die Kirche zur kleinen Herde, was für viele Konservative ja ohnehin attraktiv ist. Aber die tatsächliche spirituelle Kraft des Christlichen wird so sicher nicht breitenwirksam. Wer das mit Carlo erreichen will, der täuscht sich.

Verschwiegener Antisemitismus

Was aber äußerst problematisch an der Verehrung dieses Heiligen ist, ist der verschwiegene Antisemitismus, der durch das Hochalten der Eucharistischen Wunder wider besseren Wissens von Seiten der vatikanischen Unterstützer, mittransportiert wird. Denn viele dieser Wundergeschichten erzählen auch von Schändungen der Hostien, die den Juden untergeschoben wurden.

Zu einem Höhepunkt kam es 1399 in Poznan (Polen): Für die Hostienschändung wurde ein jüdischer Rabbi verantwortlich gemacht, der dann mit 14 anderen Gemeindemitgliedern öffentlich verbrannt wurde.
Otto Friedrich, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der Furche, schreibt dazu:

Caro Acutis mag man das [den Antisemitismus] nicht vorwerfen. Aber diejenigen, die die Verehrung des so jung Verstorbenen promoten, müssten es besser wissen – oder tun es wider besseren Wissens. Angefangen bei Kurienkardinal Angelo Comastri, der das Vorwort zur Internetausstellung eucharistischer „Wunder“ verfasst hat.

Eines habe ich aber bei meinem letzten Aufenthalt in Assisi gelernt: Auch die Heiligsprechung von Franz von Assisi hatte sicherlich kirchenpolitische Hintergründe. Davon aber im nächsten Beitrag mehr.

Ein Gebet

Am Ende möchte ich dennoch ein Gebet von Bischof Dominico Sorrentino wiedergeben:

Gott, unser Vater!
Ich danke Dir, dass Du uns Carlo als Vorbild für die jungen Menschen geschenkt hast.
Ich danke Dir, dass er sich in Deinem Sohn Jesus Christus verliebt hat
und dass er dir Eucharistie als seine „Autobahn in den Himmel“ erkannte.
Ich danke Dir auch, dass Carlo die Gottesmutter Maria lieben gelernt hat
und durch das Gebet des Rosenkranzes die zärtliche Liebe Mariens erfahren hat.
Ich bitte Dich: Erhöre sein Gebet für uns hier und heute.
Ich bitte dich auch, dass Carlo einmal als Heiliger verehrt wird.
Möge sein jugendliches Lächeln über der ganzen Kirche erstrahlen.
Möge seine Fürbitte noch machtvoller werden,
damit die jungen Menschen unserer Zeit
Jesus Christus als ihren Herrn und Erlöser erkennen.
Amen

Das nächste Mal ist eine Seite von Franz von Assisi Thema, die von vielen übersehen wird – seine Erfahrungen von Dunkelheit.


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