Karlheinz Six

ONE love sontg that isn’t ONE

Bild: ONE love sing that isn't ONE

In dieser Folge geht es um zwei Songs, die mehr über die Liebe erzählen, als es auf den ersten Blick scheint: Bob Marleys „One Love“ ruft zur spirituellen Einheit auf – ein Ideal voller Hoffnung und Versöhnung. U2s „One“ dagegen führt uns mitten hinein in die Realität: Liebe als Zumutung, als Aufgabe, als etwas, das trägt – und schmerzt. Zwei Lieder, zwei Perspektiven. Eine gemeinsame Frage: Was ist Liebe eigentlich wirklich?

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 65. Episode.

Heute geht es um die Liebe. Nicht um irgendeine Liebe, sondern eine, die im Englischen „One Love“ genannt wird. Dieser Ausdruck lässt sich fast nicht ins Deutsche übersetzen. Vielmehr geht es um eine bestimmte Idee von Liebe.

Heute geht es aber auch um die reale Liebe, die alles andere als „One Love“ ist. Um Beziehungen, die verletzen, demütigen und streiten.

Das alles bespreche ich anhand von zwei der bekanntesten Lieder unserer Popkultur: an dem Lied von Bob Marley „One Love“ und dem Lied „One“ von der irischen Band U2.

Jetzt klingen diese Lieder wahrscheinlich schon in eurem Kopf. Bevor es aber los geht, weise ich kurz darauf hin, dass ihr mir auf verschiedenen Wegen Nachrichten schicken könnt. Mehr dazu in den Shownotes. Und ihr könnt meine Arbeit auch finanziell unterstützen. Dann sparen wir uns lästige Werbung.

Die Liedtexte werde ich in Deutsch zitieren. Die Lieder findet ihr auf meiner Webseite im Transkript dieses Podcasts.

Und jetzt geht’s wirklich los – in Liebe.

Bob Marley ist wohl jedem und jeder ein Begriff. Er ist Jamaikaner und da passt es auch ganz gut, dass er religiös ein Rastafari ist, obwohl er als Katholik getauft wurde. Rastafari ist eine Religion, über die man in Europa nur wenig weiß.

Die Rastafari basieren auf dem Christentum. Sie sehen im ehemaligen äthiopischen Kaiser Haile Selassie den wiedergekommenen Messias sehen. Der lebte von 1892 bis 1975.

Wenn nun aber der Messias gekommen ist, dann ist auch das Ende der Zeit angebrochen und das bedeutet, dass alle Menschen gleichberechtigt und in Liebe und Friede verbunden leben sollen. Vor allem für die schwarze Bevölkerung ist die Rastafari-Religion als Emanzipationsbewegung zu verstehen.

Nun. Dieser Bob Marley singt das bekannte Lied: „One Love“. Darunter versteht er und die Rastafari eine universale Vereinigung in Liebe und Friede, wie es Gott für die Endzeit vorgesehen hat.

Dem entsprechend schlägt Marley einen endzeitlichen Ton an:

Let’s get together to fight this Holy Armageddon
So when the Man comes,
there will be no, no doom
Have pity on those whose chances grows thinner
There ain’t no hiding place from the Father of Creation

Lasst uns zusammenkommen,
um dieses Heilige Armageddon zu kämpfen
Wenn der Mann kommt,
wird es keinen, keinen Untergang geben
Habt Mitleid mit jenen, deren Chancen sich verringern
Es gibt kein Versteck vor dem Vater der Schöpfung

Marley ruft zur universalen Vereinigung auf.

Dabei verwendet er das Wort Armageddon. Darunter versteht man die endgültige Schlacht zwischen dem Guten gegen das Böse, wobei das Gute siegt. Mit der Liebe stehen wir in dieser letzten Schlacht auf der Seite des Guten.

Wenn wir uns vereinigen und der Mann – gemeint ist der Menschensohn, der letzte Richter – uns so vorfindet, wird es keinen Untergang geben. Es gibt aber Menschen, deren Chancen am Ende schlecht stehen. Mit ihnen soll man Mitleid haben. Sie können sich nicht verstecken. Damit spielt der Sänger auf die biblische Sündenfallerzählung an, bei der sich das sündige Menschenpaar vor Gott versteckt.

Marley fragt in einer anderen Stelle des Liedes auch, ob es für die hoffnungslosen Sündern, die die Menschheit für ihre Überzeugungen verletzt haben, einen eigenen Ort geben wird? Geprägt, wie wir sind, denken wir zuerst an einen Ort ewiger Verdammnis, also an die Hölle. Das muss aber nicht gemeint sein. Wenn wir diesen Sündern mit Mitleid begegnen sollen, dann kann es sich auch um einen heilsamen Ort handeln, einen Ort neuer Hoffnung für jene, die alle Hoffnung verloren und deshalb gesündigt haben. Es wird ja keinen Untergang geben, wenn wir uns alle vereinigen. Und wenn wir bereit sind, die hoffnungslosen Sünder auch zu integrieren, dann wird es auch für sie keinen Untergang geben.

Egal, was wir davon halten mögen: Bob Marley zeigt mit diesem Lied eines sehr schön: Liebe bewegt! „Let’s come together!“ „Lasst uns zusammenkommen“ ist nicht Ausdruck eines Bleibens, sondern eines Aufbruchs zu einer neuen Weise des Miteinanders. Deutlich klingen die endzeitlichen Prophetenvisionen an, in denen alle Völker zum Berg des Herrn kommen, um sich dort in Liebe vor Gott zu versammeln.

Zu dieser sehr romantisierten Vorstellung einer alle Menschen vereinigenden Liebe erhebt das Lied von U2 Einspruch. Viele meinen, das Lied „One“ wäre ein Liebeslied. Das ist es nicht und doch wird auch von der Liebe gesungen.

Aber schon die Entstehungsgeschichte des Liedes zeigt, dass die Liebe nicht so einfach ist: Bei der Erstellung des Albums „Achtung Baby“ wäre U2 als Band fast zerbrochen, weil sie sich über die zukünftige musikalische Ausrichtung gestritten haben. Der Gitarrist The Edge „löste“ das Problem durch seine sanfte Instrumentierung besagten Liedes. Dies führte die Band wieder zueinander. Sie waren wieder „one“, eins.

Worum geht es im Lied? Das beantwortet die Band selbst unterschiedlich, ja widersprüchlich:

So meinte der Sänger Bono, dass es darum ginge, dass wir alle zusammenleben müssten, ob wir wollen oder nicht. Dabei scheint Bono eine Textzeile anders zu deuten wie The Edge. Dieser sieht nämlich in besagter Textzeile die Gnade der Liebe durchschimmern. Es handelt sich um folgenden Vers:

„We get to carry each other.“

The Edge meint, dass es gerade nicht „got it“, sondern „get it“ heißt. „We got to carry each other“ bedeutet in der englischen Umgangssprache so viel wie: „Wir müssen einander tragen.“ Dies würde der Interpretation von Bono entsprechen. Aber es heißt eben nicht „got it“. Die eigentliche Zeile kann übersetzt werden mit: „Wir tragen einander“ oder „wir dürfen einander tragen“. Und das ist auch der Glanz der Gnade, der durch die Liebe schimmert: Dass wir uns gegenseitig in Liebe tragen, ist keine Bürde, sondern eine Auszeichnung.

The Edge meinte aber auch einmal, dass es sich bei dem Lied um ein bitteres, gehässiges Gespräch zweier Menschen handle, die viel durchgemacht haben. Auch Bono fragte einmal als er erfuhr, dass viele Menschen dieses Lied bei ihrer Hochzeit spielen, ob die spinnen; in diesem Lied ginge es um Trennung, nicht um das Zusammenkommen.

Und schließlich sagte Bono einmal in einem Interview, es ginge um eine Vater-Sohn-Beziehung. In dieser steht ein religiöser Vater seinem sich als homosexuell bekennenden Sohn gegenüber, der noch dazu HIV-positiv ist. Dabei sei er von einem realen Fall aus seinem Bekanntenkreis inspiriert worden.

Wir haben hier nicht die Frage zu stellen, welche Interpretation die richtige ist. Vielmehr spricht diese Vielfalt an Möglichkeiten für einen Text, der einerseits Leerstellen lässt, um diese mit Verschiedenem zu befüllen, und gleichzeitig konkrete Aussagen über die Liebe und das Zusammenleben macht. Es empfiehlt sich für jeden, sich einmal mit dem Text auseinanderzusetzen.

Ich hebe nun eine Dimension dieses Liedes hervor, die einen Kontrapunkt zu Bob Marleys Lied bildet. Die reale Liebe sieht nämlich zumeist nicht so romantisch aus: Mein Partner ist mir nicht immer Heimat. Ebenso meine Eltern oder meine Kinder nicht. Die anderen sind mir immer auch fremd, so sehr ich sie auch liebe. Wir machen sowohl bei unserem Partnern als auch bei unseren Eltern und Kindern immer wieder diese Fremdheitserfahrung. Manche davon können wir in unsere Liebe oft nur schwer integrieren und es dauert manchmal eine lange Zeit, bis wir es schaffen. Und vielleicht schaffen wir ein Leben lang nicht, diese Erfahrung zu integrieren, sodass die Frage entsteht, ob wir mit dieser Fremdheit zusammen leben können oder nicht. Diese Fremdheit des anderen kann zur Belastung werden. Sie kann aber auch eine Beziehung bereichern, nämlich dann, wenn es eine Freude und Lust ist, meinen Partner ein Leben lang kennen lernen zu können oder meinen Kindern zuzusehen, wie sie sich entwickeln und mich immer wieder mit Neuem überraschen.

„One“ spricht allerdings von belastenden Beziehungssituationen und daher von realen Beziehungen, die nicht in romantischen himmlischen Höhen schweben, sondern mit beiden Beinen auf den Erdboden stehen. So stehen sich folgende Textpassagen gegenüber, die beide eine Dimension realer Liebe ansprechen:

We’re one, but we’re not the same
We get to carry each other, carry each other

We’re one, but we’re not the same
Well, we hurt each other, then we do it again

Wir sind eins, aber nicht dieselben
Wir dürfen einander tragen.

Wir sind eins, aber nicht dieselben
Nun ja, wir verletzen einander, dann tuen wir es wieder.

In der Liebe sind wir zwei eins, aber wir sind deshalb noch lange nicht dieselben. Wir verschmelzen nicht. Wir bleiben immer auch noch für uns. Diese Liebe ist keine, in der man sich auflöst, sondern immer noch man selbst bleibt. Und wir beide, die haben die ehrenvolle Aufgabe, einander zu tragen. Aber, nun ja, gleichzeitig verletzt man einander immer und immer wieder. Die reale Liebe steht in dieser Spannung zwischen Anspruch des Einander-Tragens, den wir zumeist auch verwirklichen, und der „bösen“ Wirklichkeit, dass wir den anderen manchmal und immer wieder einmal fallen lassen.

Und in einer Situation, in der man schon sehr oft fallen gelassen wurde, setzt dieses Lied ein:

Is it getting better
Or do you feel the same?
Will it make it easier on you
Now you got someone to blame?

Wird es besser?
Oder fühlst du dasselbe?
Wird es leichter für dich
Jetzt, wo du jemanden hast, dem du die Schuld geben kannst?

Ein zentrales Thema der Liebe ist die Schuld, nämlich dann, wenn man glaubt, dass man selbst oder der andere sich gegen die Liebe „versündigt“ hat. Und so wandert in die reale Liebe ein Schulddiskurs ein, hinter dem man nach Anerkennung des Leidens sucht und nach Vergebung für das, was man dem anderen angetan hat.

Und an dieser Stelle gleitet das Lied in einem religiöse Sprache ab:

Have you come here for forgiveness?

Have you come to raise the dead?

Have you come here to play Jesus?
To the lepers in your head?

Bist du hierhergekommen, um Vergebung zu erlangen?
Bist du hierhergekommen, um die Toten aufzuerwecken?
Bist du hierhergekommen, um Jesus zu spielen
Für die Leprösen in deinem Kopf?

Die Schuld in der Liebe sucht nach Vergebung. Sie sucht nach neuem Leben: Denn Schuld tötet, Vergebung lässt aufleben, aufstehen. Wie bei Jesus. Und hier zeigt sich schon, dass die Liebe über die Liebenden hinausweist, will sie Vergebung erlangen. Denn kein Mensch ist Jesus, sondern kann ihn bestenfalls nur spielen. Ist also nur eine Jesus-Imitation, die gar keine echte Vergebung, kein echtes Leben schenken kann. Vergebung ist etwas Übermenschliches, was wir Menschen zu leisten haben.

Der letzte Satz kann in Hinblick auf den HIV-positiven Sohn verstanden werden, muss aber nicht. Denn die aussätzigen Leprakranken im Kopf sind alle und alles, was wir gern fernhalten wollen. Es kann das meinen, was in unsere Liebe eingedrungen ist oder was wir glauben, dass eingedrungen ist, und was wir draußen halten wollen. Meint das, was die Liebe zum Verfaulen krank macht. Das Bedrohliche, vor dem die Liebe schützen soll. Was aber, wenn das Du gerade das Bedrohliche ist?

You say love is a temple, love a higher law
You ask me to enter but then you make me crawl
And I can’t be holding on to what you got
When all you got is hurt

Du sagst, Liebe ist ein Tempel, Liebe ein höheres Gesetz
Du bittest mich einzutreten, aber dann lässt du mich kriechen
Und ich kann nicht an dem festhalten, was du hast
Wenn alles, was du hast, Schmerz ist

Hier wird die Liebe sogar zu einem heiligen Raum, zu einem Tempel, der von sich aus, schon über die Liebenden hinausweist. Die Liebe steht unter einem höheren Gesetz als das der Menschen. Einer bittet einzutreten, ist aber dann die Bedrohung selbst. Verursacht Schmerz und lässt den anderen am Boden kriechen.

Selbstverständlich könnte man dieses Lied auch als Besingen einer Trennung einer dysfunktionalen Beziehung ansehen. Aber es endet mit der schon zu Beginn gesungenen Zeile: Eine Liebe, ein Leben, wir dürfen einander tragen. Und manchmal – im Deutschen lässt sich das gut ausdrücken – wird aus dem Einander-Tragen ein Einander-Ertragen. Wie schon Paulus sagt: „Die Liebe erträgt alles.“ (1 Kor 13,7) Aus dem Glanz der Gnade wird eine Bürde.

Mit anderen Worten können wir sagen: Was dieses Lied deutlich zu machen versucht, ist, dass Liebe Menschen vereinigt, dass sie aber von innen her durch schuldhafte Trennung bedroht ist. Diese hier dargestellte Trennung ist kein Moment der Liebe selbst, sondern eines, das Liebe zerstört. Sie lässt Liebe nicht wachsen, sondern verfaulen. Zugleich verweist die Liebe auf eine über die Liebenden hinausgehende Dimension. Die Liebenden können ihre Liebesversprechen selbst nicht garantieren. Mit dem Ausdruck „One Love“ ist bei Bob Marley von vornherein schon eine spirituelle Dimension angesprochen, die wir in unserer Zeit und in unserem Kulturkreis nicht sogleich verstehen.

U2 singt in ihrem Lied „one love, one blood, one life“ und spielen damit auf das gemeinsame Leben, ja das gemeinsame Verwandtschaftsverhältnis an. Bob Marley singt „one love, one heart“. Das „heart“ kann als Anspielung auf das biblische Verständnis vom Herz gedeutet werden: Es ist nicht einfach Sitz der Emotionen, sondern bezeichnet den Wesenskern des Menschen, das, was den Menschen zum Menschen macht und was ihn leben lässt. Dies wird überhöht dadurch, dass dieser Wesenskern in allen Menschen derselbe ist, der zugleich die Menschen zu einer Einheit zusammenführt. Daher ruft Marley in seinem Lied auch alle dazu auf, zusammenzukommen und sich gut zu fühlen. Gleichzeitig fordert er die Menschen zum Gebet zu Gott auf: „Give thanks and praise to the Lord.“ „Danke und lobe den Herrn.“

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