Karlheinz Six

Äthiopien: Weihnachten – ein Fest ohne Schnee, Christbaum und Krippe

Bild: Äthiopien: Weihnachten – ein Fest ohne Schnee, Christbaum und Krippe

Wenn in Europa an Weihnachten gedacht wird, tauchen meist Bilder von Schnee, beleuchteten Christbäumen und Krippendarstellungen auf. Viele verbinden das Fest mit dem 24. oder 25. Dezember, mit Geschenken und einem großen Familienessen.

In Äthiopien jedoch gehört Weihnachten zu einem anderen Rhythmus des Jahres: ein frühmorgendlicher Gottesdienst, traditionelle Kleidung, Fasten und ein Festessen ohne Winterkulisse – ein Szenario, das sich stark von europäischen Vorstellungen unterscheidet.


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In Äthiopien heißt das Weihnachtsfest Genna (oder „Ganna“) und wird meist am 7. Januar gefeiert, weil die äthiopisch-orthodoxe Tewahedo-Kirche den julianischen Kalender nutzt. Die zahlreichen Feiertage im Land orientieren sich an diesem Kalender, der sich vom westlichen gregorianischen Kalender unterscheidet, weshalb Weihnachten später stattfindet als im europäischen Raum.

Auch der Ablauf des Festes unterscheidet sich grundlegend: In Äthiopien steht nicht der festlich dekorierte Wohnraum im Zentrum, sondern der Gottesdienst in der Kirche. Viele Gläubige nehmen zuvor an einer längeren Fastenzeit teil, dem sogenannten „Fasten der Propheten“, das bis zu 43 Tage dauert, in denen auf tierische Produkte verzichtet wird.

Gottesdienst und Gemeinschaft im Mittelpunkt

Die Nacht vor dem Weihnachtstag verbringen viele in der Kirche oder gehen von einem Gottesdienst zum nächsten. Die Feier beginnt oft sehr früh am Morgen und zieht sich über Stunden hin. Es gibt traditionelle Gesänge, Gebete und oft eine Prozession mit Kerzen und Kreuzen um die Kirche herum – ein Bild, das bei vielen europäischen Christmetten unbekannt ist.

Typisch für Genna ist auch traditionelle weiße Kleidung, die viele Menschen tragen, wenn sie zur Kirche gehen. Während in Europa ein Christbaum, Lichterketten oder Weihnachtskrippen zentrale visuelle Elemente des Festes sind, spielen diese Symbole in Äthiopien kaum eine Rolle. Schnee ist dort aufgrund des Klimas kein Bestandteil der Festvorstellung, und aufwendige Krippen- oder Baumschmuck-Traditionen existieren nicht in nennenswertem Umfang. Dies macht den Unterschied zur populären europäischen Weihnachtssymbolik besonders deutlich.

Nach dem Gottesdienst folgt das festliche Essen, bei dem häufig traditionelle Speisen wie Doro Wat (ein würziger Hühner-Eintopf) mit Injera (Sauerteig-Fladenbrot) serviert wird. Noch geringer als in Europa ist die Bedeutung von Geschenken: Kleine Geschenke oder neue Kleidung für Kinder sind zwar möglich, stehen aber nicht im Zentrum des Festes.

Ein weiterer kultureller Unterschied ist, dass Genna auch der Name eines traditionellen Spiels ist – ähnlich dem Hockey –, das besonders von Jungen gespielt wird und mit den Weihnachtsfeierlichkeiten verbunden wird.

Ein Blick auf die Rastafari und Weihnachten

Äthiopien spielt auch eine besondere Rolle für die Rastafari-Bewegung, die in den 1930er-Jahren in Jamaika entstand und sich stark auf den ehemaligen Kaiser Haile Selassie I. bezieht. Haile Selassie war der Kaiser von Äthiopien von 1930 bis 1974 und eine bedeutende historische Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Viele Rastafari sehen in ihm den messianischen Jah (Gott) oder eine besondere göttliche Manifestation, angesichts dessen Titel wie „King of Kings“ und „Elect of God“ eine herausragende Rolle spielen.

In Äthiopien entstand in der Region um Shashamane eine kleine Gemeinschaft von Rastafari, die dort seit Jahrzehnten lebt; sie betrachten das Land als spirituelle Heimat, inspiriert durch historische Landzuteilungen und den Glauben an die Rückkehr der afrikanischen Diaspora.

Im Unterschied zur orthodoxen Weihnachtstradition feiern die meisten Rastafari kein Weihnachten – weder am 25. Dezember noch am 7. Januar. Dies liegt daran, dass viele Rastafari das traditionelle christliche Weihnachtsfest als europäisch-kulturell geprägt und theologisch nicht im Zentrum ihrer eigenen religiösen Praxis sehen. Ihre religiösen Schwerpunkte liegen eher auf Festen und Gedenktagen, die mit Haile Selassie und der Bewegung selbst verbunden sind, etwa der Geburtstag von Haile Selassie oder andere spirituelle Jahrestage.

Gleichzeitig hat Rastafari selbst Verbindungen zum Christentum: Viele Rastafari interpretieren biblische Texte, sehen ihre Bewegung als Teil eines breiteren christlichen Erbes und verstehen Haile Selassie in Relation zu Jesus beziehungsweise biblischer Prophetie, auch wenn dies theologisch deutlich von orthodox-christlicher Lehre abweicht.

Vielfältige Unterschiede

Weihnachten in Äthiopien unterscheidet sich in mehreren zentralen Punkten von der europäischen Vorstellung. Der Zeitpunkt des Festes, die liturgische Betonung, das Fasten, das Fehlen klassischer Weihnachtssymbole wie Schnee, Christbaum und Krippe sowie der andere kulturelle Kontext machen Genna zu einem eigenen Ausdruck christlicher Tradition.

Gleichzeitig zeigt der Blick auf die Rastafari, wie vielfältig religiöse Bezüge zu Äthiopien sind: Die orthodoxe Tradition feiert Genna als zentralen kirchlichen Feiertag, während die Rastafari-Bewegung andere spirituelle Feste und Bezüge in den Mittelpunkt rückt – ein eindrückliches Beispiel für die kulturelle und religiöse Vielfalt rund um Weihnachten.

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