Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

aufbrechen

Titelbild: aufbrechen

Aufbrechen bedeutet, sich auf unbekannte, neue Orte und Situationen einzulassen. Das Aufbrechen zieht sich in dieser Folge wie ein roter Faden durch die Themen Pilgern, Abraham und Kirche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Transkript

Herzlich Willkommen zur zweiten Folge dieses Podcasts. Diesmal möchte ich das Thema „aufbrechen“ in einem ganz bestimmten Sinn aufgreifen. Das mache ich nicht wegen des Titels dieses Podcasts, sondern weil es für mich ein Fundament des christlichen Glaubens ist. Ich möchte so auf andere Weise die Gedanken von der ersten Folge weiterführen.

Bevor es aber losgeht, möchte ich darauf hinweisen, dass ich sehr gern mit dir in den Austausch gehe. In den Shownotes habe ich alle Kontaktmöglichkeiten angeführt. Ich freue mich auch, wenn du mir auf Instragram oder auf meiner Facebook-Seite folgst oder meinen YouTube-Kanal abonnierst. Gern kannst du dich auf meiner Homepage auch für meinen Newsletter eintragen lassen.

– Ich fange also an.

Aufbrechen im Sinn von Losgehen. Ich bin schon sehr oft in meinem Leben aufgebrochen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Wie soll ich sagen: Es gehört nicht zu meinem Lebensstil, irgendwo anzukommen, sondern mich immer wieder aufzumachen. Für andere mag das ein unstetes Leben sein, jedoch gilt es zu beachten, dass es verschiedene Weisen gibt, im Leben unterwegs zu sein. Das möchte ich aber heute nicht vertiefen, sondern soll ein anderes Mal Thema sein.

Es gibt jedenfalls eine Weise des Unterwegsseins, die sehr große Festigkeit, Stabilität verlangt. Zeichenhaft dafür, aber auch für mein Leben kann das Pilgern stehen.

Vor mehr als zehn Jahren habe ich das Fußpilgern entdeckt und war seither mehrmals am Franziskusweg von La Verna über Assisi bis nach Rieti, ja bis nach Rom unterwegs. Früher immer nur wochenweise bin ich in diesem Jahr in mehr als 20 Tagen von La Verna bis Rom gegangen.

Wofür steht dieses Pilgern?

Man kann gar nicht richtig sagen, wo dieses Pilgern eigentlich beginnt: Beginnt es dort, wo die erste Station ist – also in La Verna? Oder beginnt sie schon am Bahnhof meiner Wohnstadt oder überhaupt schon zu Hause, wenn ich mich zum Bahnhof aufmache? Oder beginnt der Weg nicht schon lange vorher, in meinem Kopf, in mein Zugehen auf dieses Vorhaben, im Organisieren, im Sicheinlassen auf seine eigenen Gefühle der Freude, der Unsicherheit, des Zweifels und des Mutes?

Gleiches gilt für das Ende des Weges. Am Weg traf ich einen Menschen, der meinte, wenn der Weg zu Ende ist, dann ist der Weg nicht zu Ende. Der Pilgerweg geht in mir weiter. Und wie ich also den Anfang des Weges nicht genau ausmachen kann, kann ich auch dessen Ende nicht ausmachen.

Wann bin ich also zu meinem Pilgerweg aufgebrochen? Darauf kann ich keine Antwort geben. Der Anfang ist mir unverfügbar. ES hat einfach angefangen.

Ich bin also aufgebrochen, aufgebrochen, um immer wieder anzukommen, um dann erneut aufzubrechen. Das Ziel ist nicht das Ankommen, sondern das immer wiederkehrende Aufbrechen. Das Verlassen der Orte, in denen man tags zuvor angekommen ist, um schließlich wieder an einem Ort anzukommen, von dem man aufbrechen wird.

Das Pilgern ist nicht nur eine Episode meines Lebens, sondern es steht zeichenhaft dafür. Ich kann mich daher gut mit dem mittelalterlichen Denken identifizieren, dass im jetzigen Leben den status viatoris erkennt, was eine etwas widersprüchlicher Ausdruck ist: Übersetzt heißt status viatoris: der Stand des Pilgers. Nur Stehen ist nicht das, was Pilger tun.

Aufbrechen heißt also, einen Ort zu verlassen. Der Ort kann unterschiedliches bedeuten: Ist es ein Ort, in dem mir alles vertraut ist, in dem ich geborgen bin, der mir Glück und Zufriedenheit gibt? Oder ist es ein Ort des Schreckens, der Gewalt oder des Hungers?

In jeden Fall ist es ein Ort, den ich kenne. Und das Aufbrechen führt zu einem Ort, den ich meistens nicht kenne. Ich breche auf zu Unbekanntem, zu Neuem, das mich verunsichert, vielleicht sogar ängstigt.

Eine der biblischen Zentralgestalt des Aufbruchs ist wohl Abraham. Seine Geschichte wird vom 12. bis zum 25. Kapitel des Buches Genesis erzählt.

Abraham war 75 Jahre alt – so heißt es übersteigert in der Bibel – als Gott ihn aufforderte aufzubrechen in ein neues Land, das Gott ihm zeigen wird. Über das Vorleben von Abraham wissen wir nichts. Seine Geschichte beginnt mit dem Aufbruch. Abraham ist durchaus eine zwiespältige Person: Auf der einen Seite stellt er Gottes Aufruf zum Aufbruch nicht in Frage. Ebenso nicht die Aufforderung seinen Sohn Isaak zu opfern. Auf der anderen Seite reagiert er in anderen Situationen sehr unsicher und verängstigt, was ihn zu Leugnung der Ehe mit Sara treibt. Er vertraut also nicht auf den Schutz Gottes. Und nochmals auf einer anderen Seite streitet er mit Gott, weil er seine Entscheide für ungerecht hält. Und auf nach einer anderen Seite vertreibt er seine Sklavin Hagar und ihren mit ihm gezeugten Sohn.

Es ist die Geschichte eines Menschen, keines Heiligen. Einfach eines Menschen wie du und ich. Auf solche setzt Gott. Sie fordert er auf, aufzubrechen, loszugehen. Und er gibt Abraham ein Versprechen mit: Er kommt in ein Land, wo Milch und Honig fließen. Und seien Nachkommen werden zahlreich sein.

Beim Thema Aufbrechen habe ich aber auch noch eine ganz andere Assoziation. Mir fällt da das erste Schreiben von P. Franziskus ein, ein so genannten Apostolischen Schreiben, das den Namen Evanglium gaudium trägt. Aufsehen erregte damals im Jahr 2013 vor allem die neue Sprache, die er anschlägt. Unter anderem möchte er die Leserinnen und Leser, dazu motivieren, aufzubrechen, Neues zu wagen. Dazu möchte ich eine Passage vorlesen:

Eine Kirche ‚im Aufbruch‘ ist eine Kirche mit offenen Türen. Zu den anderen hinauszugehen, um an die menschlichen Randgebiete zu gelangen, bedeutet nicht, richtungs- und sinnlos auf die Welt zuzulaufen. Oftmals ist es besser, den Schritt zu verlangsamen, die Ängstlichkeit abzulegen, um dem anderen in die Augen zu sehen und zuzuhören, oder auf die Dringlichkeiten zu verzichten, um den zu begleiten, der am Straßenrand geblieben ist. Manchmal ist es wie der Vater des verlorenen Sohnes, der die Türen offen lässt, damit der Sohn, wenn er zurückkommt, ohne Schwierigkeiten eintreten kann.“

Aufbrechen heißt auch, dass man die Türen öffnen muss. Der Papst möchte sogar, dass die Türen ständig offen sind, damit wir jederzeit aufbrechen können zu den Randgebieten unserer Gesellschaft und in diesem Aufbrechen eine höhere Bedeutung zuerkennen als im Abarbeiten der kirchlichen Dringlichkeiten.

Franziskus sieht diese aufbrechende Kirche im Wort Gottes selbst begründet. Er schreibt:

Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des „Aufbruchs“, die Gott in den Gläubigen auslösen will. Abraham folgte dem Aufruf, zu einem neuen Land aufzubrechen. Mose gehorchte dem Ruf Gottes: ‚Geh! Ich sende dich‘, und führte das Volk hinaus, dem verheißenen Land entgegen. Zu Jeremia sagte Gott: ‚Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen‘.“

Welch ein Zeichen für unsere gegenwärtige Kirche, wenn ich auf meinem Pilgerweg vor zahlreichen verschlossenen Kirchen gestanden bin.

Aufzubrechen ist also das, wozu uns das Wort Gottes ständig auffordert. Wir sollen nicht sesshaft werden, sondern hingehen zu den Menschen an den Randgebieten. Wer sich wirklich mit seiner Existenz darauf einlässt und nicht nur paternalilstisch von oben herab den Menschen begegnet, wird verunsichert werden, wird sich ängstigen, wird Fehler machen, wird mit seinem Schicksal hadern und sich nach mehr Bequemlichkeit sehnen. Aber niemand hat gesagt, dass Glauben leicht ist.

Aktuelle Podcast-Folge
„aus&aufbrechen“

Aktueller Blog-Beitrag
„ziellos unterwegs“