Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Mein Ort in einer erstarrten Kirche

Titelbild: Mein Ort in einer erstarrten Kirche
In diesem Blog geht es nicht einfach darum zu schildern, was ich im Äußeren während des kommenden Jahres erlebe. Vielmehr liegt der Schwerpunkt darin, meine Gedanken zu schildern und mich selbst zu reflektieren. Insofern ich das Leben selbst als Weg auffasse, auf dem man unterwegs ist, haben die einzelnen Beiträge ganz unterschiedlichen Charakter. Auch die erzählerischen Beiträge sollen mehr mein Innenleben darstellen, als die äußeren Situationen wiederzugeben. Diesmal möchte ich einer Frage nachgehen, die mich schon seit vielen Jahren beschäftigt, nämlich: Wohin steuert die Kirche? Gemeint ist die römisch-katholische Kirche. Vor einiger Zeit habe ich mir vorgenommen, mich nicht zu sehr mit dieser Frage zu beschäftigten. Sie kostet zu viel Energie, die umsonst verschwendet wird, und führt letztlich zu nichts. Dies mag für manche ein hartes Urteil sein. In erster Linie sage ich das ganz aus meiner Situation heraus. Ich bin in keinem Gremium, keiner Leitungsverantwortung, keiner Gruppe, die sich für eine Veränderung einsetzt. Im Gegentei: Ich habe mich völlig aus all dem zurückgezogen. Mir geht es mehr um das Leben des Evangliums als die Reform einer Institution, die alles dazu tut, sich nicht reformieren zu lassen. Wie komme ich dazu? Mein Erfahrungshorizont beginnt in den 1990er Jahren. Man könnte noch weiter zurückgehen. Zum Beispiel zum II. Vatikanischen Konzil in den 1960er und der These des ehemaligen Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl, dass die Kirche „im Sprung gehemmt“ ist. In den Nachwirkungen des Konzils gab es einige Reformen, dessen gewaltiger Fortschritt heute schon fast wieder vergessen wurde. Dann kam P. Johannes Paul II. und vieles ist wieder erstarrt und wurde zentralisiert. Der jetzige Papst möchte einen ganz anderen Weg gehen, möchte eine dezentrale Kirche, eine synodale (d. h. demokratischere) Kirche. Dennoch hat auch dieser Papst außer im Stil und in den Prozessen noch keine große inhaltliche Reform zustande gebracht. Alle loben ihn wegen seiner Apostolischen Schreiben und Enzykliken und wegen seiner zeichenhaften Handlungen – seine erste Reise ging auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa –, aber innerkirchlich bleibt weiterhin alles erstarrt. Auf weltkirchlicher Ebene zeigt sich deutlich die Auseinandersetzung zwischen den bewahrenden oder sogar rückwärtsgewandten Gruppen und den reformorientierten. Wenn so gesprochen wird, wird oft der Papst fast zum Opfer stilisiert. Er steht zwischen den Fronten. Wird gesagt. Wenn er eine Entscheidung trifft, dann kann es zur Abspaltung kommen. Wird gesagt. Die Einheit war immer schon das oberste Gebot, dass in den letzten Jahrzehnten die Verwirklichung der Wahrheit verhindert hat. Der Papst scheint hier ein machtloses Opfer zerrieben zwischen den Fronten zu sein. Doch in Wahrheit hat er die unumschränkte Macht in der Kirche. Von ihm geht wie von einem Monarchen alles aus, alles Kirchenrecht, alle Entscheidungen, alle Veränderungen – oder auch nicht. Welchen Papst wollen wir eigentlich? Ein Opfer oder einen unumschränkten Machthaber. Ich will beides nicht. Aber eine substanzielle Weiterentwicklung des Papstamtes nehme ich bei diesem Papst auch nicht wahr. Obwohl ich hier von der weltkirchlichen Ebene spreche, ist die römisch-katholische Kirche so strukturiert, dass uns das alles in unserem kirchlichen Alltag betrifft. Auf der Ebene der Diözesen macht sich eine Art Lähmung oder ein Ungehorsam breit. Ein paar wenige Bischöfe wollen Rom ganz gehorsam sein und setzen nur das um, was Rom erlaubt. Andere, reformfreudigere Bischöfe tun auch nichts, weil sie ebenso auf Entscheidungen Roms warten. Und dann gibt es die reformorientierten Bischöfe, die nicht warten, sondern auch gegen die Weisungen Roms agieren. Zuletzt wurde das bei der Segnung homosexueller Paare deutlich. Also werden hier scheinbar nur zwei Alternativen gelebt: Entweder die Dynamik geht von Rom aus oder die Diözesen handeln gegen Rom. Und das führt wieder zu internen Diskussionen, die allen Zeit rauben und gefühlt ewig nichts weiterbringen. Das, was innerhalb der Diözesen getan wird, sind meist Strukturreformen (Schaffung von Seelsorgeräumen), die dazu führen, dass Anforderungen an die Organisation und Institution erfüllt werden. Der kirchlich-pfarrliche Alltag ist geprägt von organisatorischen Fragen, sodass die Vertiefung des Glaubens und die Zuwendung zu den Menschen viel zu kurz kommt. Zuerst wird gefragt: Was machen wir beim Erntedankfest? Wie organisieren wir das Pfarrfest? Woher bekommen wir Eltern für Erstkommunion- und Firmvorbereitung? Fragen wie: Wo leben die Armen in meiner Pfarre? Was brauche die Menschen, die alten, die jungen, die Kinder? Was fordert das Evangelium von uns, dass wir in unserer Pfarre bewirken? höre ich so gut wie nie. Oder ich sollte genauer sein: Habe ich so gut wie nie gehört. Denn für mich stand vor einigen Jahren fest, dass ich mit dieser Art, Kirche zu leben und zu gestalten, nicht mehr kann. Ich habe auch keinen Sinn mehr darin gesehen, eine solche Art von Kirche bzw. Pfarre zu unterstützen. Ich habe mich herausgenommen aus all dem. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, die Kirche in ihrer Erstarrung zu reformieren. So wichtig ist mir diese Institution nicht. Die Menschen, ihre Hoffnungen und Sorgen, ihre Leiden und Freuden sind wichtiger. Und jede kirchliche Institution, die diese nicht in den Mittelpunkt stellt, muss auch nicht mehr weiter bestehen. Ich habe kein Problem damit, dass eine solche Kirche untergeht.

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Ich sehe aber in unserer Kirche noch ein Phänomen, das seit einigen Jahren, vielleicht seit zwei Jahrzehnten, aufgetaucht ist: An der Basis werden konservative Haltungen, Gruppierungen und Einrichtungen immer beliebter. Hier zählen klare Regeln, klare Glaubenshaltungen, klare spirituelle Formen. Letztere sind oft sehr traditionell mit teilweise sehr veralteten Ansichten, die man aber nun im zeitgenössigen, popkulturellen Gewand neu belebt. Es wird nun nicht mehr nur eine Monstranz auf den Altar gestellt, sondern es braucht dazu besondere, künstliche Lichteffekte, um das Ganze etwas aufzupimpen. Aber die veraltete Theologie bleibt. Und genau diese alten, veralteten Formen boomen wieder. Und in einer Zeit, in der nichts mehr klar ist, in der jeder alles entscheiden darf und es scheinbar keine Einschränkungen mehr gibt, da kommen Gruppen, die genau diese Klarheit bieten. In die Kirchengeschichte geschaut könnten diese Gruppen sogar erfolgreich sein, da die Kirche immer dann geboomt hat, wenn sie ein Gegenmodell zur Gesellschaft geboten hat. Sie war dann Auffangbecken für jene, die gerade nicht mit der Mehrheit mitschwimmen wollten. So kann es auch hier sein. Meine Bedenken: 1. Diese Gruppen und Institutionen tendieren dazu, sich abzuschließen und aufgrund ihrer konservativen Haltung auch eine Hierarchie herauszubilden, in der Machtmissbrauch und spirituelle und sexualisierte Gewalt ausgeübt werden kann. Damit einher geht oft das Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen, nicht nur gegenüber den Nicht-Christen, sondern auch den Otto-normal-Christen. Die relative Abgeschlossenheit kann also letztlich auch sektoide Züge annehmen, wie wir es in der Kirche schon erlebt haben. 2. Ich frage mich auch, inwiefern die (spirituelle) Haltung dieser Gruppen wirklich zur Befreiung der Menschen führt. Es mag sein, dass viele durch einen intensiven Glauben und eine ausgeprägtes spirituelles Leben zu mehr Freiheit gefunden habe. Aber vielleicht um den Preis neuer Abhängigkeiten. Ist es sinnvoll den Menschen zu sagen, wie Gott ist und wie gelebt werden soll? Oder ist es nicht viel besser, die Menschen auf ihren Weg zu begleiten, vielleicht mit dem Aufstellen von Hinweisschildern, aber nicht mit Zielpunkten. Hier werden möglicherweise Abhängigkeiten von Personen geschaffen, von denen gemeint wird, dass sie die wahre, reine Lehre vertreten. Wenn ich mir nämlich so manche Videos und Postings in den Sozialen Medien ansehen, dann höre ich immer ganz klare Botschaften: Gott ist dies und Gott ist das. Und du musst dies und du muss das. Und vor allem höre ich: „Es geht um dich!“ Reihen sich diese Verkündiger*innen nicht einfach in die zahllosen Glückversprecher*innen ein, die heute massenhaft in den Sozialen Medien herumgeistern? Und haben sie wirklich eine anderen Botschaft als die, dass man in sich hineinhören muss, dass man sich selbst entdecken muss, dass es um die eigene Entwicklung geht? So betrachtet kommen mir diese neuen Verkündigungsbewegung sehr zeitgeistig vor und ganz und gar nicht so, als ob sie ein Gegenmodell anbieten wollen. Zumindest bieten sie kein alternativen Gegenmodell zu jenen an, die ohnehin ständig von Achtsamkeit und dem Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse krakelen. Ich glaube daher, dass diese Gruppen, die so klare Antworten haben, übersehen, dass das Leben viel reicher und vielfältiger ist, dass die Offenbarung und das Wirken Gottes viel ambivalenter ist, als sie es annehmen. Ich bin überzeugt davon, dass wir ein Leben mit einer ausgefüllteren Tiefe leben können, wenn wir diese Ambivalenz des Lebens und des Gotterscheinens zulassen. Zu einer Klarheit im eigenen Leben zu finden, ist damit nicht ausgeschlossen. Einer Klarheit, die allerdings zu neuen Ambivalenzen führt. Ich habe mich in diesem Beitrag ganz unvollkommen ausgedrückt. Hier bin ich auch noch auf der Suche nach den richtigen Worten. Ich wage es einfach, in der ganzen Ambivalenz auch unfertige Gedanken stehen zu lassen. Vielleicht wird die Institution Kirche mithilfe dieser Gruppierungen, Haltungen und Institutionen ein weiteres Dasein fristen. Ob es aber eine Kirche gemäß dem Evangelium sein wird, bin ich mir nicht sicher. Und ob darin der Glaube Jesu Christi gelebt wird, auch nicht. Dieser sollte aber zuerst im Zentrum stehen und mit ihm die Option für die Menschen, besonders den Armen und Randständigen. Die Organisation ist dann die zweitrangige Frage, nämlich wie kann ich mich / können wir uns so strukturieren, dass ich / wir das, was das Evangelium von mir / uns fordert, gut leben kann / können. Auf dieser Suche bin ich. Oder viel individueller ausgedrückt: Wo ist mein Ort? Dieses Ziel habe ich nicht gefunden. Werde ich vielleicht auch nicht finden, da jeder fixe Ort neue Ambivalenzen zu Tage fördert. Daher: „ziellos unterwegs“.

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