Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Der unsympathische Jesus

Titelbild: Der unsympathische Jesus

Für die meisten Christen ist Jesus der supercoole Sympathieträger. Dabei wird die unsympathische Seite Jesu einfach ausgeblentet. Also jene Seite, die er gegenüber seinen Gegnern und nicht-jüdischen Frauen zeigt.

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 36. Folge meines Podcasts „aus&aufbrechen“. Dass Jesus im Mittelpunkt des Christentums steht, ist ja hinlänglich bekannt. Für so gut wie alle Christen ist er der Sympathieträger, ja manchmal eine Projektionsfläche für all das, was Menschen Gutes an sich selbst haben könnten.

Hat Jesus nicht aber auch eine unsympathische Seite? Eine Seite, die wir gern vernachlässigen, weil wir sie in das Bild des supercoolen, allen zugewandten, lieben, netten, zuvorkommenden, lächelnden Jesus nicht reinbekommen? Um diese Seite Jesu soll es heute gehen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Natürlich ist uns bewusst, dass Jesus bestimmten Gruppen ein Dorn im Auge war. Sie fanden ihn sicher nicht sympathisch, sonst wäre er wohl nicht am Kreuz gelandet. Anders gesagt: Dass ihn seine Gegner unsympathisch gefunden haben, ist wohl kein großes Geheimnis. Dass er auch nicht gerade zimperlig mit ihnen umgegangen ist, wissen wir auch. Mit seinen Drohgebärden, die meist mit „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, Pharisäer usw.“ eingeleitet werden, und seinen Beschimpfungen à la „Schlangenbrut“ hat er sich da sicher keine Freunde gemacht.

Manche von uns, wenn sie solches hören, empfinden bei diesen harten Worten Jesu vielleicht sogar Freude, Schadenfreude, Genugtuung. Endlich einmal einer, der’s denen da oben, dem Establishment, der Elite mal so richtig zeigt. Jetzt drückt er’s ihnen richtig rein. Recht so! Selber Schuld, wenn ihr so machtgierig und unterdrückerisch seid.

Das macht Jesus für uns dann grundsympathisch. Dann können wir nämlich in der Deckung bleiben. Wir können den Mund halten, denn der steht ja schon auf für uns gegen die Bösen dieser Welt.

Wir übersehen halt dabei, dass wir – ich meine uns als europäische, bürgerliche Christen – ja auch zum Establishment gehören, dass die Worte ja eigentlich auch gegen uns gerichtet sind, dass auch wir mal nachdenken sollten, wo wir unsere Privilegien zuungunsten anderer ausnutzen. Vielleicht sind wir ja viel eher auf der Gegenseite Jesu; vielleicht würde er uns als Schlangenbrut bezeichnen. Na, dann wäre er nicht mehr so sympathisch.

So wie er Petrus als „Satan“ beschimpft. Warum? Weil Petrus einfach nicht einsehen will, dass der Messias getötet wird. Petrus wäre lieber davongelaufen, hätte sich lieber weggeduckt. Hat er ja auch gemacht und hat geleugnet. Ich denke, in dem Moment, wo Jesus „Satan“ zu ihm sagt, hat Petrus ihn nicht sehr sympathisch gefunden.

Übersehen wir also nicht, dass wir uns schneller auf der Gegenseite Jesu finden könnten als uns lieb ist.

Ich möchte aber auf zwei Textstellen zu sprechen kommen, wo wir – also wir, die Jesus-Freunde, die, die ihn als den Menschen liebevoll zugewandten sehen – von Jesus anderes erwarten würden.

Eine solche Erzählung findet sich zum Beispiel im 15. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Ich lese die Stelle einmal vor:

Jesus ging weg von dort und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Und siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend kam zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her! Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Ich möchte jetzt nicht darüber reden, wie es sich da mit der Heilung verhält.

Hier geht es mir nur um die Umgangsweise Jesu mit dieser Frau: Benimmt sich Jesus nicht völlig daneben?

Zuerst ignoriert er sie. Die Jünger wollen in ihrem Machogehabe, dass er reagiert, aber so, dass er sie fortschickt. Ich stelle mir da eine Frau vor, die in der Öffentlichkeit Jesus hinterherläuft und laut schreit. Wie peinlich für die Jünger. Und Jesus lässt sie einfach links liegen.

Als er aber nicht mehr anders kann, weil sie sich vor ihm aufgebaut hat, verweigert er ihr ihre Bitte. Ja, er setzt noch eines drauf. Er beschimpft sie als Hund. So süß Hunde für uns heute sind, in der damaligen Zeit waren sie das allerletzte. Mit Hunden und Schweinen wollte man nichts zu tun haben.

Aber diese Frau gibt einfach nicht auf. Sie ist hartnäckig. Hut ab von ihr. Sie tritt mit aller Kraft für ihre Tochter ein, bis hin zur Demütigung, dass sie vor Jesus in aller Öffentlichkeit auf die Knie fällt. Und sie hat den Mut, dem Mann, von dem sie so viel erhofft und der sie so erniedrigt, zu widersprechen. Oder sagen wir besser: ihn zu belehren. Denn sie stimmt Jesus zu, führt aber seine Rede in der logischen Konsequenz weiter. Das nun lässt Jesus gelten. Er kommt ihrer Bitte nach.

Was für eine Szene? Kennen wir Jesus nicht auch anders? Hat er sich nicht ansonsten den Frauen zugewendet, sie aufgerichtet, sie wertgeschätzt; ist ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet? Und hier? Was hat die Frau Jesus getan? Gar nichts. Sie ist ja eine Fremde.

Und genau das ist auch der Punkt: Sie ist keine Jüdin. Und Jesus ist als Messias nur zu den Juden gekommen. Er bereitet nur den Juden den Tisch. Doch er muss eines lernen: Die Überreste, die vom Tisch des Herrn fallen, die sind für die Hunde, also für die Nicht-Juden. Die Heilkraft Jesu ist so überreich, dass auch etwas für die Nicht-Juden abfällt. Das musste Jesus von dieser Frau lernen.

Findige Theologen sagen nun: Genau darum geht’s doch bei der Geschichte. Es geht eigentlich gar nicht um Jesus. Dem Autor des Evangeliums geht’s eigentlich um die Leser*innen. Die haben gegenüber den Nicht-Juden eine so überhebliche, arrogante, abweisende Art. Und die müssen lernen, dass Jesus nicht nur zu Juden gekommen ist, sondern zu allen Menschen. In dieser Geschichte wird an der Figur Jesus nur vorgezeigt, wie die Haltung der Leser*innen ist und wie sie sein sollte. Denn auch der Herr ist bereit, sich belehren und vom Glauben der Frau beeindrucken zu lassen.

So kann man das alles theologisch erklären. Ich frage mich aber: Musste Matthäus das unbedingt so machen? Musste er Jesus so arrogant und unsymapthisch zeichnen? Er hätte es nicht müssen. Es gibt andere Bibelstellen, wo er Nicht-Juden ganz anders begegnet und wo dieselbe theologische Aussage getroffen wird, nämlich das Jesus zu allen Menschen gesandt wurde.

Wie also umgehen mit einem solchen Jesus, der eine Frau so lange ignoriert, bis sie vor ihm öffentlich auf die Knie fällt?

Ich möchte noch auf eine andere Geschichte zu sprechen kommen. Diesmal aus dem Johannes-Evangelium. In diesem Schreiben kommt Jesus ohnehin sehr oft sehr unsympathisch rüber. Lest es einmal durch und schaut mal selbst, wie komisch er oft reagiert. Ich möchte aber auf eine Geschichte zu sprechen kommen, wo Jesus wieder einer Frau begegnet und wieder ist es eine Nicht-Jüdin, diesmal eine Samaritanerin. Ich lese auszugsweise vor.

So kam Jesus zu einer Stadt in Samarien, die Sychar hieß […]. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen [...]. Da kam eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! […] Die Samariterin sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern. Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben [… hat]? Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben [...]. Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen! Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her! Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt. Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss. Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. [...] Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus heißt. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden. Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, der mit dir spricht.

Nun, gut, zugegeben. Hier wirkt Jesus weniger unsympathisch als in der vorigen Geschichte. Aber wenn ich mir denke, dass er sich da am Brunnen breit macht und dann die Frau um Wasser anhaut, sagt nicht mal „bitte“, kommt er auch nicht gerade nice rüber, oder?

Die religiöse Stoßrichtung ist auch hier dieselbe wie vorhin: Das Heil kommt von den Juden. Es kommt aber nicht allein für die Juden, sondern für alle Menschen – auch für die Samaritaner.

Verfolgen wir das Gespräch weiter: Abgesehen davon, dass Jesus nicht mal bitte sagt, macht ihn die Frau auf noch einen Affront aufmerksam: Als Jude darf er nicht einfach eine Nicht-Jüdin ansprechen – vielleicht auch nicht als Mann eine fremde Frau.

Dann kommt gleich mal der Oberlehrer in Jesus heraus und schließlich konfrontiert er sie noch mit ihren partnerschaftlichen Scheitern und den sexuellen Verfehlungen. Na, das brauchts ganz sicher. Wo ist der Jesus, der sagt: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“? Wo ist der Jesus, der Frauen aufrichtet?

Und zum Schluss sagt er noch ganz lässig: „Ich bin’s, der Messias!“

Gut, letzteres wundert niemanden mehr. Würden wir so einem aber heute begegnen, würden wir ihn in die Klappse bugstieren. Warum sollte es damals anders gewesens sein? Ja, gut, Klapse gab’s damals keine.

Was ich mit dieser zugegeben flappsigen Art sagen möchte: Hier belehrt nicht die Frau, sondern Jesus. Und er kommt für mich nicht gerade wie ein Sympathieträger herüber, eher wie ein besserwisserischer Oberlehrer, der der Frau auch noch ihre Verfehlungen vorhält.

Wie ich schon gesagt habe, durchzieht das ganze Johannes-Evangelium eine solche Art Jesu. Lest nach! Wie soll man damit umgehen?

Ein wenig kann das aber im Fall des Johannes-Evangeliums aufgelöst werden: Dem Autor geht es nicht um den historischen Menschen Jesus. Es geht ihm nicht um seine menschlichen Eigenschaften und um seinen Charakter. Er will ganz klar machen, wer Jesus in religiöser Hinsicht ist. In diesem Evangelium tritt nicht Jesus, der Mensch auf, sondern Jesus ist eine literarische Figur, an der deutlich werden soll, wer der reale Jesus religiös gesehen war.

Das macht Johannes ganz am Anfang schon klar, wo er vom Wort spricht, dass von Anfang an bei Gott war und dann Fleisch angenommen hat. Wir begegnen in der literarischen Gestalt Jesus also dem immer schon gegenwärtige Wort Gottes. Es geht also nicht um die Charaktereigenschaften des menschlichen Jesus, sondern um seine religiöse Bedeutung.

Und daher sind auch für Johannes die sogenannten „Ich bin“-Worte so wichtig. Hier: Ich bin es, der Messias. Oder an anderen Stellen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ „Ich bin die Tür.“ „Ich bin die Auferstehung.“ „Ich bin das Brot des Lebens.“ Usw.

Wenn das der Mensch Jesus so sagen würde, würde er sehr überheblich wirken. Hier geht es aber eben nicht um den Menschen. Mit den „Ich bin“- Worten wird eine Verbindung zum Namen Gottes hergestellt: „Ich bin, der ich bin (da).“, wie er sich dem Mose geoffenbart hat. In Jesus wird dieses allgemeine „Ich bin“ Gottes konkret. Jesus wirkt nur dann arrogant, wenn wir seine Aussagen lesen, als ob es ein Mensch sagen würde.

Auch wenn sich die unsympathische Seite Jesu im Johannes-Evangelium am Ende gut auflösen lässt, so bleiben doch so manche Stellen übrig, bei denen das nicht so leicht möglich ist. Wie zum Beispiel bei der ersten Geschichte.

Wie gut kann ich diese abstoßende Seite Jesu in mein Jesus-Bild integrieren? Muss denn Jesus eigentlich durch und durch sympathisch sein? Kann ein Messias, ein Retter der Welt das überhaupt sein? Oder ist es nicht notwendigerweise so, dass ein Held mit einem solchen Auftrag nicht auch problematische Seiten haben muss?

Oder anders gefragt: Wenn in Jesus Gottes Liebe zur Welt erschienen ist, ist das immer eine nette, freundliche Liebe? Oder beinhaltet Liebe nicht manchmal auch, dass man auf Distanz geht, dass man abstoßend und unerträglich wird?

Was meint ihr dazu?

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