Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Armut – Teil 3: Heikle Begriffe

Titelbild: Armut - Teil 3 - Heikle Begriffe

Bezeichnen sich arme Menschen selbst als arm? Oder ist das immer nur eine Fremdbezeichnung? In der dritten Folge der Reihe zum Thema Armut widme ich mich drei Redeweisen, die in der christlichen Verkündigung wie selbstverständlich vorkommen, dabei aber nicht unproblematisch sind.

Ich freue mich über deine Fragen und Kommentare, auf die ich gern in der letzten Folge diese Reihe eingehen werden. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, kann ich berücksichtigen.

Verwendete Bibelstellen:

Weltgerichtsrede von Jesus: Matthäus 25

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Inhaltliche Zusammenfassung

Herzlich Willkommen zur dritten Folge der Reihe zum Thema Armut. Dies ist zugleich die 16. Episode dieses Podcasts.

Wir reden sehr leicht von den armen Menschen. Vor allem in der Kirche. Das hat wohl seinen Grund darin, dass Jesus in seiner Verkündigung arme Menschen immer wieder in den Mittelpunkt stellt und uns als privilegierte Menschen provoziert. Von seinem Auftrag heißt es, dass er gekommen sei, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden.

Wer ist aber arm? Und würden arme Menschen sich auch als arm bezeichnen? Oder ist das nicht einfach eine Fremdbezeichnung?

In dieser Folge möchte ich drei solcher Redeweisen betrachten, die zwar in der kirchlichen Verkündigung wie selbstverständlich verwendet werden, aber von außen betrachtet nicht unproblematisch sind.

Bevor es richtig losgeht, noch kurz etwas Organisatorisches: Du kannst mir gern Fragen und Kommentare schicken, schriftlich oder als Audio. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, werde ich in der letzten Folge berücksichtigen. Denn in der siebenten Folge dieser Reihe werde ich mich den Fragen einer Überraschungsgesprächspartnerin stellen.

Ich möchte in dieser Episode drei Begriffe in den Mittelpunkt stellen, die in der christlichen Verkündigung wie selbstverständlich verwendet werden, weil sie biblische Sprache aufgreifen. Wir müssen aber darüber reflektieren, ob diese Begriffe heute überhaupt noch angemessen sind. Immerhin wurde die Bibel vor mehr als 2000 Jahren geschrieben.

1. Der arme Mensch

Der erste Begriff ist der der Armut bzw. der armen Menschen. Damit verbinden wir in erster Linie Menschen, die materiell arm ist, in unseren Breitengraden, der wenig Geld hat. Das ist zwar nicht falsch, aber auch nicht unproblematisch. In diesem Sinn arm kann man nur in einer Gesellschaft sein, in der Geld eine zentrale Versorgungskategorie ist. In Kulturen mit hohem Selbstversorgungsanteil, in den also Geld keine so zentrale Rolle spielt, sieht die Sache schon anders aus. Die Gesellschaft der biblischen Umwelt war sicherlich noch stark von der Selbstversorgung geprägt, obwohl Geld von schon eine wichtige Rolle gespielt hat.

D. h. man kann sagen: Arm ist der*diejenige, der*die keine ausreichenden materiellen Mittel hat, sein Leben zu bestreiten. Wir erinnern uns an die erste Episode, wo es um das Alte Testament gegangen ist. Da hieß es z. B. dass man den Rand des Ackers stehen lassen soll, um es für die Armen zur Verfügung zu stellen. Es heißt also nicht: Gibt dem Armen Geld! Vielleicht, weil Geld keine zentrale Rolle gespielt hat.

Heute müssen wir aber Armut etwas weiter denken. Allein ein Blick in Wikipedia gibt Aufschluss darüber. Darauf kann ich aber hier nicht eingehen.

Ich greife eine Unterscheidung der UNO auf: Sie unterscheidet zwischen materieller und immaterieller Armut. Und sie bringt noch den Begriff der Menschenwürde mit ein.

Für die UNO gilt jemand als arm, der keine ausreichenden materiellen Mittel hat, um menschenwürdig zu leben. Es geht also nicht um das bloße überleben, sondern um ein menschenwürdiges Leben.

Was aber bedeutet das? Das ist heute eine sehr schwierige Frage. Deutlich ist, dass es mit diesem Wort einen gewissen Qualitätsstandard gibt, der erreicht werden soll. Die UNO möchte sagen: Es geht nicht bloß um Leben oder Nicht-Leben, sondern darum, dass das Leben eine bestimmte Qualität hat. Dies soll mit dem Begriff der Menschenwürde ausgedrückt werden.

Darüber hinaus geht es nicht nur darum, materiell abgesichert zu sein, sondern auch immateriell versorgt zu sein. Dabei geht es darum, dass Menschen die Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben unmöglich gemacht wird. Solche Menschen sind als arm im immaterielle Sinn zu bezeichnen.

Wenn die Bibel vom armen Menschen spricht, hat sie immer den konkreten Einzelnen vor Augen, dessen Not durch Almosen gelindert werden soll. Im Alten Testament haben wir noch Naturalien, im Neuen Testament geht es beim Almosengeben schon um Geld.

Die Bibel beleuchtet damit die Strukturen der Armut zu wenig. Welche Strukturen haben wir in unserer Gesellschaft, die Armut produziert. Es ist wichtig, nicht nur für den konkreten armen Menschen etwas zu tun, sondern auch gegen die Strukturen, die Armut hervorbringen.

In diesem Kontext sind gewissen soziale Projekte kritisch zu beleuchten. Als Beispiel möchte ich das Tafel-Wesen nennen: Hier werden Lebensmittel an arme Menschen kostenlos verteilt. Dabei müssen die Menschen aber explizit als arm markiert werden. Jede*r muss seine Bedürftigkeit bestätigt zu kommen. Erst dann komme ich in den Genuss einer solchen Leisten.

Hier stellen sich einige Fragen: Warum sind Lebensmittel nicht generell so günstig, zumindest die Grundnahrungsmittel, damit sie sich jede*r leisten kann? Warum werden armen Menschen Lebensmittel zur Verfügung gestellt, die schon fast abgelaufen sind? Warum kriegen das, was die Reichen übrig lassen? Sind das nicht einfach die Brotkrumen, die vom Tisch fallen? Ist das eine menschenwürdige Behandlung von Menschen, die das bekommen, was andere übrig lassen und was gerade noch vor dem Mistkübel gerettet wird? Ist es ein menschenwürdiger Umgang, dass man Menschen zuerst als bedürftig markieren muss, damit so so Leistungen in Anspruch nehmen können? Ist das nicht das nicht ein systemisc her Ausschluss von Menschen.

Ich plädiere daher dafür, dass wir mehr die Armut produzierenden Strukturen in den Blick nehmen. Da das aber ein langer, ja ein unendlicher Prozess ist, die Armut nie verschwinden wird, muss es auch solche Projekte geben, die sich direkt an die Armen wenden. Es muss immer auf beiden Ebenen gearbeitet werden.

2. Die Geringsten

Dieser Begriff kommt aus der Weltgerichtsrede Jesus aus dem Matthäus-Evanglium. Hier scheidet Jesus die Böcke von den Schafen. Die Schafe haben sich um die Geringsten gekümmert; nicht aber die Böcke. Jesus sagt zu den Schafen: Das, was man für die Geringsten getan hat, hat man Jesus getan. So werden die Schafe gerettet.

Aber, wer will sich selbst schon als gering bezeichnen. Ich kenne viele arme Menschen, aber niemand möchte sich als gering, als einer der Geringsten bezeichnen.

Wer aber ist nach dieser Rede die Geringsten? Jesus zählt auf.

  • die Hungernden
  • die Durstigen
  • die Fremden
  • die Nackten
  • die Kranken
  • die Gefangenen

Wenn ich mit einem Kranken sprechen: Würde er sich als einen Geringen ansehen? Würde ich ihn so ansehen?

Es ist immer eine Fremdbezeichnung, nie eine Eigenbezeichnung. Es geht hier nicht um einen objektiv Geringsten, sondern immer um einen gering angesehenen. Und diese wechseln je nach Zeit und Gesellschaft.

Das erste Problem ist also, dass es eine Fremdbezeichnung ist. Das zweite Problem ist, dass die Rede von den Geringsten an jene geht, die nicht zu den Geringsten gehören. Jesus wendet sich an die Privilegierten, die sich um die Geringsten kümmern sollen. In weiterer Folge kann das dazu führen, dass die Zielgruppe der Rede dem Hochmut verfallen. Indem sie denken: „In meiner grenzenlose Güte lasse ich den Geringsten das zukommen, was vom Tisch meiner Privilegien fällt.“

Das ist die Mentalität von Charity-Veranstaltungen reicher Menschen, die einen Mini-Bruchteil ihres Vermögens spenden und dann glauben, etwas Gutes getan zu haben, und die sich dafür noch in den Medien ablichten lassen. Sie wollen vor den Menschen groß da stehen, weil sie einen Mini-Bruchteil ihres Vermögens gegeben haben.

Ich möchte auch noch auf eine Provokation Jesu zu sprechen kommen, die wir heute nicht mehr hören. Die oben genannten sind für uns heute zumeist keine Geringsten mehr. Man könnte vielleicht andere Personengruppen einsetzen: die psychisch Kranken oder Transpersonen. Letztere müssen sehr viele Provokation und Gewalt erleben. Aber in anderen gesellschaftlichen Kontexten, sind Transpersonen keine Provokation mehr.

Daher gehe ich noch einen Schritt weiter: Was ist mit Vergewaltigern oder Pädophilen? Muss man sich auch ihnen zuwenden? Gehören sie nicht auch zu den Geringsten? Provoziert das jetzt mehr? Gegenfrage: Sagt nicht Jesus, dass wir uns mehr den Opfern als den Tätern zuwenden werden? Die Zuwendung zu den Opfern ist sicherlich christlicher Auftrag. Zugleich frage ich aber zurück: Wen habt ihr geglaubt, im Gefängnis zu finden, wenn Jesus von den Gefangenen spricht? Glaubt ihr dort Heilige und Märtyrer oder Schuldige und Verbrecher zu finden. Und die Antwort darauf: Je nach Nation oder gesellschaftlicher Situation findet man in den Gefängnissen wohl einmal mehr die eine, und einmal mehr die andere Personengruppe.

3. Menschen, die an Rand leben

Das ist auch eine beliebte Formulierung von P. Franziskus. Auch ich habe dieses Bild immer wieder gern aufgegriffen. Aber sie könnte zu falschen Assoziationen führen.

Die Rede von den Menschen am Rand wird heute oft im übertragenen Sinn verstanden. Sie ist aber zunächst wörtlich zu verstehen.

Wir müssen an den Städtebau denken. In vielen Städten ist es so, dass die Reichen und Privilegierten im Zentrum oder in eigenen Stadtvierteln wohnen, uns auch die Armen in eigenen Stadtviertel angesiedelt sind, die an den Rand situiert sind.

Ich möchte, um es besser zu verdeutlichen, das mittelalterliche Assisi als Beispiel nehmen. Assisi ist wie viele mittelalterliche auf einem Hügel positioniert. Je weiter oben man gewohnt hat, desto mehr war man gesellschaftlich angesehen. Die Angesehenen lebten oben. Die Leprakranken hat man an den Rand angesiedelt – wegen der Ansteckungsgefahr. Franz von Assisi hat nach seiner Kehrtwende am Rand gewohnt.

Legt eine solche Stadt zugrunde, kann man am Rand leben wortwörtlich verstehen. Damit verbunden ist immer auch der Ausschluss aus der Gesellschaft.

Ich bezweifle, ob man in Österreich noch eine so deutliche Stadtstrukturen sehen. So ist auch zu bezweifeln, ob Menschen heute in diesem wortwörtlichen Sinn am Rand leben.

Wir haben auch gesehen, dass wir mit einer Seuche ganz anders umgehen: Wer an einer solchen Krankheit leidet, wird zwar noch aus der Gesellschaft ausgesondert, aber nicht an den Rand stellen, sondern in die eigene Wohnung.

Dennoch gibt es in unserer Gesellschaft Ausschlussmechanismen. So können wir die Rede von Menschen am Rand durchaus im übertragenen Sinn beibehalten. Wenn die UNO von der immateriellen Armut spricht, meint sie ja Menschen, die aus der gesellschaftlichen Teilhabe herausgefallen sind. Diese stehen im Rand.

Ein Teil dieser Menschen werden in eigenen Einrichtungen untergebracht: in Pflegeheime, in Jugend-WGs oder in psychiatrischen Einrichtungen. Diese Menschen werden tatsächlich nochmals räumlich ausgesondert, weil sie nicht gesellschaftsfähig sind. Diese Einrichtungen sind dann aber nicht mehr am Stadtrand angesiedelt, sondern stehen mitten in der Stadt.

Es gibt aber auch Menschen, die wir nicht für gesellschaftsfähig halten, die aber nicht in einer solchen Einrichtung untergebracht sind, sonde

Für uns Christen gilt, immer wieder die Ausschließungsmechanismen zu benennen, um sich für die Integration dieser Ausgeschlossenen einzusetzen.

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