Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Suizid: Eine existenzielle Sichtweise – Teil 3

Bild: Suizid: eine existenzielle Sichtweise

Unsere Zeit hat einen psychologischen Zugang zum Suizid, die Kirche einen ethischen, die Bibel vorwiegend einen militärischen. Ich möchte in dieser Episode einen existenziellen Zugang eröffnen, der den Blick auf dieses Thema ausweitet und vertieft.

Hilfe in Krisen:

Telefonseelsorge Österreich: 142

Telefonseelsorge Deutschland: 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222

Die Dargebotene Hand Schweiz und Liechtenstein: 143

Diesen Podcast mache ich in meiner Freizeit. Wenn du diese Arbeit auch finanziell anerkennen möchtest, dann kannst du mich über ko-fi auf einen Tee einladen oder direkt über Paypal einen kleinen Betrag senden.

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 39. Episode meines Podcast „aus&aufbrechen“. Was bedeutet es ganz existenziell aus christlicher Sicht, wenn ein Mensch sich selbst das Leben nimmt? Das ist die Frage, der ich heute nachgehen möchte.

Diese Episode ist zugleich die letzte Folge meiner dreiteiligen Reihe zum Thema Suizid. In den ersten beiden Folgen habe ich mich dem Thema Suizid in zweifacher Hinsicht angenähert.

Zuerst habe ich die katholische Lehre zum Suizid unter die Lupe genommen. Die Kirche lehnt den Suizid aus ethischen Gründen ab. Ihre Argumentation ist aber unzureichend und undifferenziert.

In der zweiten Folge habe ich dann einen Blick in die Bibel geworfen und bin alle Darstellungen von Suiziden durchgegangen. Die Bibel nimmt zum Suizid nicht generell Stellung, sondern schildert in verschiedenen Erzählungen suizidale Handlungen. Diese werden ganz unterschiedlich bewertet, als Strafe Gottes, aber auch als Heldentaten und Ehrenrettungen.

In der heutigen Episode möchte ich ein paar meiner eigenen Gedanken zu diesem Thema loswerden. Als jemand, der selbst in der Suizidprävention gearbeitet hat und der immer wieder mit suizidalen Personen zu tun hat, ist mir der psychologische Zugang zu diesem Thema vertraut. Dieser Zugang ist zwar sehr weit verbreitet. Ich halte ihn dennoch für unzureichend, um das Phänomen existenziell zu erfassen.

Ich möchte hier versuchen, aus christlicher Perspektive abseits des kirchlichen Jargons einen solchen Zugang zu finden. An dieser Stelle noch eine Vorwarnung: Zunächst werde ich mich tatsächlich sehr fromm anhören. Halte durch. Am Ende wird es weniger fromm.

Bevor ich das aber näher entfalte, möchte ich auf folgendes hinweisen: Wenn du gerade in einer Krise bist oder sogar an Suizid denkst, überlege dir, ob du diese Episode weiterhören möchtest. In den Shownotes findest du Hilfsangebote.

Wenn du mit mir in Kontakt treten willst, kannst du das jederzeit auf diversen Kanälen tun. Dazu mehr Infos in den Shownotes. Ich freue mich auch über einen kleinen Obulus in meine Teekasse. Herzlichen Dank an alle, die da schon etwas hineingeworfen haben.

Die menschliche Existenz als durchdrungen vom Ja Gottes

Ich möchte an den Beginn meiner Gedanken einen Satz stellen, der im Katholischen Erwachsenenkatechismus steht. Und der lautet so:

Frei gewollte Selbsttötung, durch die jemand bewußt seine Autonomie dokumentieren will, ist ihrer ganzen Natur nach ein Absage an das Ja Gottes zum Menschen.

In der ersten Episode habe ich ausführlich die Lehre der Kirche dargstellt. Sie ordnet das Thema der Ethik zu. D. h. sie fragt danach, ob Suizid ethisch erlaubt ist.

Abgesehen davon, dass die Kirche die vielen Arten von Suiziden nicht unterscheidet, erfasst sie das Phänomen auch nicht als existenzielles Problem.

Dies ist jetzt aber genau mein Zugang. Mich interessiert zunächst gar nicht die Frage, ob der Suizid erlaubt ist oder nicht.

Ausgehend vom obigen Zitat wird die menschliche Existenz als eine durch und durch von Gott bejahte Existenz verstanden. Es geht hier in erster Linie nicht darum, wer uns das Leben geschenkt hat oder wem es gehört. Vielmehr sagt Gott Ja zu mir als Mensch. Er sagt ja, ganz unabhängig davon, was ich getan habe, ob Gutes oder Schlechtes. Er sagt ja, ganz unabhängig davon, welche gesellschaftliche Stellung ich habe, ob ein angesehener Popstar oder Geschäftsmann oder ein nicht beachteter Obdachloser und Bettler am Straßenrand. Er sagt ja, ganz unabhängig davon, ob ich gesund und kraftvoll bin oder schwer krank und leidend. Durch und durch bejaht Gott meine Existenz.

Bloß am Leben oder Leben in Fülle

Ich möchte auf einen Unterschied zu sprechen kommen, der häufig gemacht wird. Er ist nicht unproblematisch, hilft uns aber etwas weiter.

Es wird häufig ein Unterschied gemacht zwischen dem bloßen Leben und dem, was man Lebensqualität nennt.

Das erste wird meist verstanden als biologisches Leben, als Leben, bei dem einfach ein Herz noch schlägt und ein Hirn seinen wenigstens Mindestanforderungen entspricht. Also das bloße Am-Leben-Sein, ganz egal, wie es konkret aussieht.

Unter dem zweiten, der Lebensqualität, wird das verstanden, was das Leben lebenswert macht. Was aber ist das? Da wir uns schwer tun, diese Frage allgemein zu beantworten, haben wir uns angewöhnt, die Antwort dem Einzelnen zu überlassen. Er oder sie kann für sich ganz persönlich selbst entscheiden, was sein oder ihr Leben lebenswert macht, was ihm Qualität gibt. Die einen brauchen den jährlichen Urlaub für ihre Lebensqualität, die anderen würden sie verlieren, wenn sie an den Rollstuhl gebunden sind. Und wieder andere sehen keine Lebensqualität, wenn sie mit Schmerzen ans Bett gefesselt sind. Und dann gibt es jene, die darin keine Lebensqualität sehen, weil es auf der Welt Menschen gibt, die nicht ihrem Glauben anhängen. Und ganz anderen bleibt die Lebensqualität versagt, weil sie politisch unterdrückt oder von einem feindlichen Land angegriffen werden.

Es gibt viele Vorstellungen, was unser Leben lebenswert macht. Auch ich kann an dieser Stelle nicht entscheiden, ob es einen objektiven Maßstab für Lebensqualität gibt oder nicht.

In jedem Fall ist es so, dass sich das Ja Gottes zum Leben nicht darin erschöpft, ein Ja zum bloßen Am-Leben-sein zu sein. Das Ja Gottes ist immer ein Ja zum Leben in Fülle, wie es die Bibel nennt. Gott möchte nicht einfach, dass die Menschen am Leben sind, sondern dass sie auch ein Leben in Fülle führen. D. h. ein Leben in Frieden, in der Liebe zueinander, in Freude, ein Leben im Heil.

Ich muss mich noch genauer ausdrücken: Gottes Ja ist nicht einfach Ja zu einem Leben, wie es jetzt gerade ist, sondern immer auch ein Ja zu dem, wie das Leben eines Menschen sein könnte. Ein Ja zum Potenzial, das in uns angelegt ist und das sich entfalten will. Das Ja will sagen, dass unser Leben immer und ausnahmslos das Potenzial hat, sich zum Guten zu wenden, eben zur Fülle. Das Ja will sagen, dass unser Leben immer ganz anders sein könnte, dass es mehr sein könnte, als es jetzt ist. Das Ja will zudem sagen, dass es über dieses irdische Leben hinaus noch ein Leben gibt, dass dann die wahre Fülle bringt. Kein Leben ist hoffnungslos verloren, völlig gescheitert oder sinnlos. Jedes Leben kann noch einmal eine Wende erfahren und wird letztlich aufgehoben in ein viel größeres Leben.

Und genau darin liegt auch die Tragik des Lebens.

Die Tragik des Lebens

Genau darin liegt die Tragik:

Denn das alles klingt sehr schön, ist aber einzig abgeleitet aus der Idee, dass Gott ein Ja zum Leben spricht. Wo diese Idee einfach bloß ausgesagt wird, bleibt sie graue Theorie, wird sie kein Keim für ein neues, aufbrechendes Leben.

Aber wo nehme ich dieses Ja ganz persönlich in meinem Leben wahr? Was ist, wenn dieses Ja einfach nicht hörbar ist? Wenn diese Idee eine schöne Idee ist, aber mehr nicht? Wenn mein Leben so hinein verstrickt ist in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, dass das Ja Gottes – auch wenn es erfahrbar ist – nur noch als Zynismus erfahren wird, weil einfach keine Wende im Leben mehr erwartbar ist, weil das, was daneben gegangen ist, einfach nicht mehr reparierbar ist, weil das Leben definitiv zu Ende geht, weil es nur noch mit Leid und Schmerz verbunden ist?

Erst da, wo das Ja Gottes zum Leben nicht nur als Ja zum bloßen Am-Leben-Sein verstanden wird, sondern als Ja zum Leben in Fülle, erscheint das unerfüllte Leben in seiner ganzen Dramatik.

Was bedeuten aber dann Suizide in diesem existenzielle Geschehen? Schon mehrmals habe ich betont, dass wir dem Suizid schwer eine einheitliche Bedeutung zumessen können. Zu viele unterschiedliche Arten und Kontexte gibt es.

  • Aber vielleicht können wir tatsächlich manche Suizide als Nein zu Gottes Ja ansehen. Man verweigert sich Gott, weil man aus irgendeinem Grund sein Ja nicht annehmen kann oder will.

  • Aber vielleicht können manche Suizide auch als Ja zum Ja Gottes angesehen werden. Dort, wo das Leben an sein existenzielles Ende gekommen ist, möchte man durch den Tod das Leben in Fülle erreichen, das Gott uns versprochen hat. Das Leben in Fülle will durch den Suizid gerettet werden.

  • Oder vielleicht kann man manchen Suizid auch als falsch verstandene Antwort auf Gottes Ja verstehen. Das Leben hätte noch eine Wende nehmen können, man hat es aber nicht gesehen. Man war blind vor den eigenen Potenzialen, die das Leben noch zu bieten hat.

  • Oder vielleicht kann man manchen Suizid auch als Reaktion auf das ungehörte Ja oder auch auf das von Gott unausgesprochene Ja ansehen.

Die existenzielle Bedeutung kann nur – wie schon in der Bibel – im Einzelfall entfaltet werden. Was nicht bedeutet, dass wir Außenstehende diese Bedeutung voll und ganz erfassen. Ich möchte nur sagen, dass es keine einheitliche Bedeutung aller Suizide geben kann.

Schließen möchte ich mit einem Gedanken des Philosophen Albert Camus: Jeder Grund zu leben, ist auch ein Grund zu sterben. Das gilt auch umgekehrt. Wer sich zum Trotz das Leben nimmt, kann zum Trotz auch gleich am Leben bleiben. Wer aus Ja zum Leben sterben will, kann deshalb auch gleich am Leben bleiben. Wer keinen Grund zu leben hat, hat sicher auch keinen guten Grund zu sterben.

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