Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Menschen privilegiert begegnen

Bild: Menschen privilegiert begegnen

Bloße Reiseberichte sind ja langweilig. Und die Aneinanderreihung einzelner Erlebnisse ist mir auch zu mühsam. Auf dem Weg von Accra nach Tamale war ich in vier ghanaische Städten. Zu jeder Stadt möchte ich jeweils ein Erlebnis erzählen, das vor allem die Differenz zwischen der österreichischen und ghanaischen Kultur deutlich macht.

Accra: Preise sind Verhandlungssache

Bild: Kwame Nkruma Gedenkstätte Accra
Kwame Nkruma – erster Präsident Ghanas nach der Unabhängigkeit 1957

Was für mich bei meiner ersten Ghana-Reise vor 14 Jahren besonders eigenartig war, war das Verhandeln der Preise. Erst jetzt habe ich dazu einen Zugang gefunden, der mit einem Erlebnis in Accra zu tun hatte.

Accra ist mit 2,5 Mio. Einwohner die Hauptstadt Ghanas. An der Atlantikküste gelegen interessieren sich die Bewohner aber eher weniger für das Meer. Die Stadt ist Richtung Landesinnere ausgerichtet.

In Ghana ist es in vielen Situationen üblich, bei Kauf von Dienstleistungen und Produkten zu handeln. Das ist ja nicht gerade etwas, was mir im Blut liegt. In meiner Jugend lernte ich das in Istanbul kennen. Aber in Österreich ist das anders.

Zugegeben: Auch in Ghana mache ich das eher selten. Die Preise scheinen mir oft angemessen zu sein. Aber was weiß ich schon!

Jedenfalls wollte ich eines Tages in den Botanischen Garten von Accra, der sich ca. 15 km außerhalb des Zentrums befindet. Das ist für Taxifahrer eine weite Strecke. Ich hielt mir ein Taxi auf, der Fahrer verlangte 60 Cedi. Ich handelte ihn auf 50 herunter. Passt!

Später wollte ich zurückfahren. Ich fand einen Taxifahrer. Er verlangte 100 Cedi. Sein letztes Wort war 80. Das war mir zu teuer. Ich sah mich um ein anderes Taxi um. Er meinte, ich werde keines so schnell finden.

Er hatte recht. Mehrere Taxis verweigerten überhaupt die Fahrt, weil die Strecke einfach zu lang ist und sie sich in der Innenstadt auch nicht auskennen. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurde ich, denn ich wollte noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Unterkunft sein.

Letztlich fand ich dann ein Taxi. Der Fahrer wollte 120 Cedi. Ich handelte ihn auf 100 herunter.

In solchen Situationen kleben die Preise nicht an den Dienstleistungen, wie bei uns die Preisetiketten an den Produtken. Hier ist der Preis keine Eigenschaft der Dienstleistung, keine objektive Realität. Der Preis spiegelt vielmehr den Wert für die handelnden Personen im Moment des Verhandelns wieder. Der Preis ist damit etwas höchst Intersubjektives und zeitlich Singuläres.

Waren mir zunächst die 80 Cedi zu teuer, veränderte sich meine Situation im Laufe der Zeit durch verschiedene Faktoren. Dann waren 100 Cedi okay. Umgekehrt gilt ja auch: Wie viel will der Taxifahrer heute noch verdienen? Wie viel muss er? Entgeht ihm auch ein anderes Geschäft? usw.

Seit ich den intersubjektiv-situativen Charakter von Preisen verstanden habe, ist es auch für mich in Ordnung, dass ich als Europäer mehr zahle als die Einheimischen. Denn der Ausgangspreis ist oft genug drei- bis fünfmal höher. Das Europäersein gehört einfach zu meiner Situation dazu.

Bild: Kathedrale Heiliger Geist Accra
Römisch-katholische Kathedrale vom Heiligen Geist in Accra
Bild: Jubilee House Accra
Jubilee House in Accra - Wohnort und Amtssitz des Präsidenten
Bild: Botanischer Garten Accra
Botanischer Garten in Accra

Kurzer Hinweis
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Cape Coast: Es gibt auch freundliche Menschen

Bild: Palme am Strand von Cape Coast
Palme am Strand von Cape Coast

Cape Coast war in der Kolonialzeit das Zentrum der britischen Besatzung. Unter anderem von hier aus wurden die Sklaven verschifft und die komplette Verwaltung organisiert. Dies wirkt heute noch nach: Cape Coast ist ungefähr so groß wie Klagenfurt und ist ein Zentrum für Bildung und Universität. Viele ghanaische Beamten absolvierten hier ihre Ausbildung.

So kommt das folgende Erlebnis nicht zufällig: Am Tag der Abreise nach Kumasi wartete ich auf mein bestelltes Taxi, das aber nicht kam. Nach 15 Minuten Wartezeit nahm ich ein anderes. Wäre aber egal gewesen.

Ziel war die MMT-Station, wo ich in den nächsten Bus einsteigen wollte. Nach einer Orientierung setzte ich mich an den dafür vorgesehenen Platz und wartete und wusste, dass dieses Warten Stunden dauern kann. Tatsächlich dauerte es vier Stunden. Die Busse fahren, wenn sie fahren. Einen Plan gibt es nicht. Zumindest nicht bei MMT.

Ich las in der Zwischenzeit „Der Ewählte“ von Thomas Mann. In einer kurzen Lesepause legte ich das Buch hin und die neben mir sitzende junge Frau redete mich auf Deutsch an. Sie heißt Jennifer und studiert an der Universität Chemielabor. Sie lernt Deutsch, weil sie nach dem Studium nach Deutschland gehen will. (Jetzt im Nachhinein merke, dass wir uns darüber fast nicht unterhalten haben. Warum will sie eigentlich nicht Ghana vorwärtsbringen?) Sie kommt urspünglich aus der Volta-Region, ihre Eltern wohnen aber jetzt in Brong-Ahafo. Dorthin ist sie unterwegs. Ich schätze ca. 300 km. Eine Zweitagesreise. Sie muss in Kumasi übernachten.

Wie dem auch sei: Wir verstanden uns die ganze Busfahrt über gut, unterhielten uns über unseren unterschiedlichen Kulturen und sie half mir auch sehr bei einigen Dingen. Unter anderem bezahlte sie für mich die Toilette. Ich weiß gar nicht, warum sie das tat. Mir war das eher peinlich.

Es tat jedenfalls sehr gut: Denn in Accra und auch in Cape Coast traf ich sonst nur auf Leute, die etwas von mir wollten. Entweder man will etwas verkaufen oder bettelt oder will Kontaktdaten, um so nach Europa zu kommen. Es erschwert wirklich das offene und freundliche Zugehen auf die Menschen, weil man sehr rasch in die Lage kommt, Ansprüche abwehren zu müssen.

Die dämliche Romantisierung, die wir als Europäer gern vornehmen, indem wir behaupten, die Menschen in Afrika seien zwar arm, dafür aber glücklich, zerschellt an der Realität. Außer in den Unterkünften traf ich bisher nur auf Menschen mit Ansprüchen und Forderungen an mich. Ich kann es ihnen nicht verdenken und bin ihnen nicht böse. Aber eine ungezwungene Beziehung sieht anders aus.

Interessant an den Gesprächen mit Jennifer war auch das Thema Homosexualiltät: Homosexuelle Aktivitäten sind in Ghana verboten. Zudem gehört Jennifer der Pfingstkirche an, die in dieser Frage auch eine ablehnende Haltung hat. Sie hatte mir aber recht gegeben, dass das Ende der Welt nicht durch Homosexualität, sondern durch Armut, Krieg und Umweltzerstöruntg herbeigeführt wird. Wäre spannend zu wissen, ob sie mir nur recht gab, weil es in der Situation unpassend gewesen wäre, einen Streit darüber auszutragen oder weil ich älter war als sie oder ein Mann oder ob sie tatsächlich auch diese Überzeugung hat.

Kumasi: Es gibt auch hilfsbereite Menschen

Bild: Wolkenstimmung in Kumasi
Morgens nach dem Regen in Kumasi

In Kumasi, der Stadt, in der ich mach anfangs gar nicht wohl gefühlt habe, traf ich auf noch so ein hilfsbereites Exemplar von Menschen. Der weiß gar nicht, wie groß der Gefallen war, den er mir getan hatte.

Aber der Reihe nach: Ich hatte am Handy kein Internet, weil ich keine ghanaische SIM-Karte hatte. Besser gesagt: Ich hatte (und habe immer noch) eine MTN-SIM-Karte, die aber mein Telefon nicht erkennt. Mittlerweile wusste ich aber, dass eine Vodafone-SIM-Karte die Lösung wäre.

Jedenfalls war ich auf die jeweiligen Unterkünfte angewiesen und auf das dortige Internet. Meine Unterkunft in Kumasi hatte Internet – am Papier. Praktisch war ein Kabel kaputt. Ich sitze also am Samstag Abend ohne Internet da und musste bis Montag auf die Reparatur warten. Mir ist klar, dass zwar Montag gesagt wurde, es aber keine Garantie gab, dass das wirklich am Montag repariert wird. Ich blieb bis Donnerstag in Kumasi. Da ging das Internet immer noch nicht.

Bild: Abendstimmung in Kumasi
Abendstimmung in Kumasi

Am Montag musste ich mir also eine Vodafone-SIM-Karte besorgen. Da tat sich das nächste Problem auf: Eine Registrierung geht nur mit Ghana-Card – also für Einheimische. Der ich aber nicht bin. Es gibt auch eine Pass-Registrierung, dann erhält man für 90 Tage eine SIM-Karte. Aber diese Art der Registrierung funktioniert seit zwei Wochen nicht. Keiner kennt den Grund.

Als ich nun vor dem Vodafone-Typen saß und er mir erklärte, dass die Pass-Registrierung nicht ginge, fragte ich, wie ich sonst zu Internet am Handy kommen könne. Er erbarmte sich.

Er gab mir eine registrierte SIM-Karte, die ich nicht bezahlen musste (außer die Credits natürlich). Es dauerte ein bisschen, bis es endgültig funktionierte. Er meinte, wenn ich Ghana verlasse, soll ich die Karte wieder zurückbringen. Das mache ich ganz bestimmt! Ich gebe ihm einen Tip von 20 Cedi.

Ohne Internet wäre ich aufgeschmissen. So finde ich mich in den Städten zurecht. Ich kann Kontakt zur Familie halten, die täglich von mir hören will. Und vor allem: Ich kann ohne Internet an meinen Lehrveranstaltungen nicht teilnehmen.

In Tamale hat die Unterkunft auch Internet – ebenfalls am Papier. Was würde ich also ohne Hilfe dieses Vodafone-Mitarbeiters tun?

Tamale: Ich komme mit Privilegien

Bild: Straße von Tamale
Straße von Tamale

Tamale ist das bedeutenste Zentrum im Norden Ghanas. 500.000 Einwohner. Diese Stadt hat sich wirklich verändert. Nach acht Stunden Busfahrt und ca. 350 km kam ich an.

Mit meiner Unterkunft, dem TICCS (Tamale Institue of Cross-Cultural Studies), nahm ich schon im April Kontakt auf. Mit dem Leiter der Einrichtung, P. Phanuel. Mit ihm machte ich quasi Vollpension aus. Eingefädelt wurde das durch einen Freund, den einzigen, den ich in Ghana noch habe, und der in Tamale im Priesterseminar ist.

In Accra erfuhr ich dann, dass Phanuel nicht mehr Leiter des TICCS ist. Dann wurde es kompliziert. Aber das ist auch egal. Letztlich war die Auskunft: „Ich soll einfach kommen. Alles ist in Ordnung.“ Und ich schrieb ein paar Tage vorher ein E-Mail, wann ich kommen werde.

Die Rezeptionistin wusste dann aber nichts von meiner Ankunft. Zimmer bekam ich dennoch. Essen gibt es auch nicht. Nur Frühstück. Na, dann kann ich mir den Aufenthalt nicht lange leisten.

Nach dem Duschen waren aber glücklicherweise P. Phanuel und P. Samuel, der neue Leiter des TICCS, da und ich konnte mit ihnen sprechen. Alles in Ordnung: Vollpension war gesichert. Kein Problem.

Bild: Kathedrale Tamale Priesterbegräbnismesse
Römisch-katholische Kathedrale Unsere Frau der Verkündigung in Tamale – Priesterbegräbnismesse

Dann kam das erste Frühstück. Ich saß allein da. Natürlich mit dem Frühstück. Die drei Patres, die auch hier wohnen, essen woanders. Dann erst verstand ich: Ich bekommen eine Sonderbehandlung. Denn das TICCS bietet normalerweise keine Vollpension an. Warum ich diese Sonderbehandlung bekomme, weiß ich nicht. Ich kann das auch schwer direkt fragen. Vielleicht erfahre ich das auch irgendwann einmal. Jedenfalls bekommt kein anderer Gast dieses Service.

Auf der einen Seite bin ich froh, dass es so ist. Denn es macht den Aufenthalt viel einfacher und finanziell leistbar, als wenn ich mich jeden Tag um Essen kümmern müsste. Das habe ich in Cape Coast und Kumasi gemacht und das war für mich eher aufwendig.

Auf der anderen Seite sind mir diese Privilegien unangenehm: Allein, dass ich eine solche Reise auf diese Art machen kann, ist selbst für europäische Verhältnisse ein Privileg. Je länger ich hier bin, desto mehr wird mir das bewusst. Ich habe aber noch keinen Weg gefunden, wie ich mit dem richtig umgehen soll.

Grundsätzlich denke ich mir: Ich habe zwar die Möglichkeit, auf gewisse Privilegien nicht zurückgreifen zu müssen, andere kann ich aber nicht einfach ablegen. Solche Privilegien sind zum Beispiel mein Bildungsstand, meine Gesundheitsvorsorge, mein Einkommen, meine Rückkehrmöglichkeit in ein mittelständiges Leben in Europa, dass keine Angst vor Armut zu haben braucht. Während bei uns die Infaltion bei 8 bis 9 % ist, war sie in Ghana 2022 durchschnittelich 55 % und liegt jetzt bei 40 %. Da ist es schon in Ordnung, wenn wir für eine Taxifahrt ein bisschen mehr zahlen.


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