Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Relevanzverlust

Titelbild: Relevanzverlust von Kirchen

In den letzten Wochen habe ich in diversen Sozialen Medien über den Relevanzverlust der Kirche diskutiert. Gemeint ist die katholische Kirche. Denn den Anlass zu dieser Diskussion bot ein Interview mit dem Wiener Bischof Christoph Schönborn mit der Zeitschrift Communio. Er meinte, dass er hoffe und wünsche, dass der katholischen Kirche nicht das Schicksal der altkatholischen Kirche beschieden sei.

Was meinte er damit? Da er seine Hoffnung nicht konkretisierte, bat die altkatholische Bischöfin Maria Kubin in einem offenen Brief im Sinne eines guten Miteinanders um eine Klarstellung. Diese folgte wenige Tage danach. Schönborn entschuldigte sich für das Missverständnis. Er habe lediglich das Schisma, also die Abspaltung von der katholischen Kirche gemeint. Im Interview ging es ja um die deutsche Kirche, die so neue Wege gehen möchte, dass viele schon befürchten (oder vielleicht sogar erhoffen), dass es zu einer solche Spaltung komme.

Hat Schönborn das aber zum Zeitpunkt des Interviews wirklich gemeint? Ich hege da meine Zweifel. Die eine Möglichkeit ist, dass es inhaltlich gemeint war. Damit meine ich etwas ganz einfaches: All das, was in der deutschen katholischen Kirche gerade kurz vor der Umsetzung stünde (hätte es der Vatikan nicht gestoppt), ist in der altkatholischen Kirche schon umgesetzt: kein Pflichtzölibat, synodale Struktur, Zulassung von Frauen zur Weihe, Zulassung von Homosexuellen zum Sakrament der Ehe.

„Gott behüte die katholische Kirche vor solchen Entwicklungen …“ So könnte die Aussage Schönborns auch verstanden werden. Ausdrücklich gesagt hat er es nicht.

Relevanz in Zahlen

Aber es gibt auch noch eine andere Interpretationsmöglichkeit. An diese musste nicht nur ich denken, sondern wurde auch in einem Statement von Maria 1.0, einer – sagen wir mal – lehramtstreuen Frauenvereinigung, so ausgedrückt. Sie sprach davon, dass die altkatholische Kirche mit ihren wenigen Mitgliedern keine Relevanz habe. Schönborn habe also, meint Maria 1.0, auf diese geringe Relevanz angespielt und gemeint, dass ein solches Schicksal der katholischen Kirche erspart bleiben möge.

Lt. Wikipedia hat die altkatholische Kirche, genauer die Utrechter Union, die es nur in Europa gibt, ca. 70.000 Mitglieder. In Österreich dürften es ca. 5.000 sein.

An Zahlen gemessen hat die altkatholische Kirche also keine – zumindest keine große – Relevanz. Das heißt: Sie hat keinen breiten gesellschaftlichen Einfluss und kein politisches Gewicht. Hinzu kommt, dass viele diese Kirche gar nicht oder mehr oder weniger nur dem Namen nach kennen. Also: Kein großer Player am Markt der Religionen.

Bleiben wir bei dieser quantitativen Art von Relevanz: Wie lange noch werden die etablierten Kirchen – also die katholische und die evangelische Kirche – noch eine solche Relevanz spielen. Egal, was die Kirchen tun, sie verlieren zunehmend Mitglieder. Das gilt auch für die altkatholische Kirche. Mir scheint, nur die orthodoxe wächst in Österreich aufgrund der Migration.

Hochmut, wie er aus dem Statement von Maria 1.0. spricht, ist fehl am Platz. Eine Trendumkehr ist nicht auszumachen. Über die Gründe lässt sich trefflich streiten. Nur eines ist klar: Es gibt nicht nur einen Grund für das Schrumpfen der Mitgliederzahlen, sondern ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren. Wer nur einen Grund auszumachen glaubt, hat die Komplexität nicht verstanden.

Wenn wir Relevanz also an den Zahlen messen, verlieren auch die etablierten Kirchen rasant an gesellschaftlicher Relevanz.

Samaritanische Relevanz

Man kann Relevanz aber auch anders verstehen: Der Glaube bleibt für den Menschen immer relevant. So allgemein gesagt, kann man dem schon zustimmen. Obwohl mir das zu oberflächlich ist. Denn inwiefern ist er relevant? Aber dieser Frage möchte ich gar nicht erst nachgehen.


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Viel entscheidender ist, dass es hier zu einer häufig gemachten, falschen Identifikation von Kirche und Glaube kommt. Der Glaube mag relevant sein. Die konkrete Kirche muss es deshalb noch lange nicht. Wie beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter muss man sagen: Die Kirche ist nicht relevant, sondern sie muss ihre Relevanz jederzeit neu erweisen. Eine Kirche, die das nicht mehr tut, hat ihre Relevanz verloren – unabhängig von ihrer zahlmäßigen Größe.

Die Anspielung auf den barmherzigen Samariter ist bewusst gewählt: Den heutigen evangelikal-pflingstlich und zugleich konservativen katholischen Gruppierungen geht es mehr um ein Verständnis von Glaube, der rein in der persönlichen und emotionalen Erbauung liegt. Jesus ist es aber in erster Linie um einen Glauben gegangen, der nach dem:der anderen fragt, den das Schicksal der anderen nicht kalt lässt und der bereit ist, auch in emotional belasteten Situationen sich für den anderen einzusetzen.

Wenn Kirche also dem Beispiel des barmherzigen Samariters folgt, dann wird sie – oder zumindest jene Teile, die das tun – auch weiterhin relevant bleiben. Ganz gleich, wie viele Kirchenmitglieder sie hat.

Damit ist die Relevanz einer Kirche aber noch zu unterbestimmt. Denn die Relevanz einer Kirche könnte derart auf ihr soziales Engagement reduziert werden. Und das geschieht ja auch sehr oft – vor allem von außen, also von jenen, die zwar nicht Teil der Kirche sind, die Kirche aber für ihren Einsatz für die armen Menschen loben.

Der christliche Glaube fußt auf einem Bild vom Menschen, das ihn als transzendentes Wesen sieht. Was meine ich? Damit meine ich nicht einfach ein Wesen, dass auf einen Gott oder auf ein Jenseits hin ausgerichtet ist. Vielmehr meine ich das zunächst individuell: Der einzelne ist ein sich selbst überschreitendes Wesen. Immer da, wo er Gemeinschaft bildet, übersteigt er seine Einzelheit und wendet sich anderen zu.

Das ist aber nur die Basis seiner Transzendenz. Einer der nächsten Schritte ist es einzusehen, dass es über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche hinaus Werte und Anforderungen gibt, die zum Wohl vieler oder aller notwendig sind. Nicht immer müssen meine Bedürfnisse im Widerspruch zur Gemeinschaft stehen – ja, meistens tun sie es nicht. Aber es kann vorkommen – und das wahrscheinlich dann doch öfter, als wir meinen.

Der barmherzige Samariter ist nicht nur der, der einem Verletzten hilft, sondern einer, der von seinem Vermögen die Heilung dieses Verletzten finanziert. Dabei ist ihm dieser völlig fremd. Er ist bereit, auf etwas für sich zu verzichten zugunsten eines anderen, der große Not leidet. Er tut es, auch wenn sich der Verzicht doof anfühlt (siehe dazu meinen anderen Blog-Beitrag „Verzicht ist doof“.).

Das Christentum lehrt, dass es nicht immer um mich geht, sondern das immer auch das Wohl der anderen zu sehen ist. Ja, dass das Wohl der anderen oft mehr Priorität hat als mein eigenes. Und zwar auch jener anderen, die mir so fremd sind, weil ich ihnen nicht begegne. Ja, niemals begegnen werde. Das Christentum lehrt nicht nur die Nächsten-Solidarität, sondern auch die Fernsten-Solidarität.

Eine Kirche, die sich in den Dienst eines solchen Glaubens stellt, hat Relevanz. Sie handelt nicht nur sozial, sondern setzt sich auch für den Erhalt bzw. den Durchbruch eines bestimmten Menschenbildes ein.

Gott auf der anderen Seite

Wesentlich mit diesem Menschenbild verbunden, ist auch die religiöse Perspektive, die ich bis jetzt ausgespart habe. Hier muss ich zugeben, dass ich selbst an eine Grenze komme. An dieser Stelle würde jetzt andere von der Liebe Gottes zu uns Menschen (ganz pauschal!) sprechen oder vom Vertrauen, dass man (auch ganz pauschal!) in Gott setzen kann.

Ich kann das nicht. Das hat verschiedene Gründe. Ich glaube an einen Gott, der an der Seite der Armen und Ausgegrenzten steht. Der Partei ergreift für sie.

Mit anderen Worten: Er steht nicht auf meiner Seite, denn ich gehöre nicht zu dieser Gruppe. Das einzige, was mir bleibt, ist der Glaube an einen Gott der anderen Partei.

Eine Kirche ist erst relevant, wenn sie den Armen lehrt, dass Gott an ihrer Seite ist, und den Reichen, dass Gott nicht an ihrer Seite steht.

Wie schon gesagt: Die Anzahl der Mitglieder spielt bei einem solchen Relevanzbegriff keine Rolle. Oder doch? Wenn eine Kirche keine Mitglieder hat, gibt es sie nicht. Also eine bestimmte Anzahl ist schon erforderlich.

Nur: Müssen alle Kirchenmitglieder sein? Also so ganz offiziell – mit Brief und Siegel? Letztlich ist diese Art der Mitgliedschaft nur eine Einrichtung in den deutschsprachigen Gebieten. Überall anders funktioniert das Christentum anders.

Und wir sind tatsächlich mit einer Situation konfrontiert, dass die Anzahl der Mitglieder, die auf eine Liste als zahlend erfasst sind, schwinden.

Das ist auf der einen Seite egal: Weil es nicht darum geht, wer auf irgendeiner Liste steht. Immerhin stand der Samariter auch nicht auf der Zahlungsliste der Juden. Wichtiger ist wohl, dass Menschen im Sinn des Samariters handeln, dass die bereit sind, ihr Vermögen für andere einzusetzen, vor allem für jene, die zur Gottes-Partei gehören.

Auf der anderen Seite ist es nicht egal, wenn es immer weniger Mitglieder in den Kirchen gibt: Weil es ja zu all dem auch Strukturen und Ressourcen braucht. Und in unseren Breiten ist es oft so, dass man wohl etwas toll findet, dafür aber kein Geld rausrücken will. Außer man ist gelistetes Mitglied.

Aber welche Ressourcen braucht eine Kirche wirklich?

Diese Frage lasse ich jetzt einfach mal stehen. Sie führt über mein Thema zu weit hinaus. Aber das ist die Frage für die Zukunft der Kirchen!

Alles in Frage gestellt

Vielmehr möchte ich am Ende alles in Frage stellen, was ich bisher geschrieben habe!

Warum? Wenn ich sagen will, dass Kirche relevant ist, sage ich dann nicht, dass sie zu etwas nütze sein soll? Es gibt ja den Ausspruch: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nicht.“ Dieser Satz beinhaltet, dass man eine solche nicht-dienende Kirche nicht braucht.

Aha! Nur das nützliche ist brauchbar. Alles andere hat keinen Wert. Es darf also in dieser Welt nichts geben, dass zu nichts nütze ist. Oder?

Also keine Alten in den Altenheimen – die sind zu nichts nütze, sondern kosten nur Geld.

Straftäter – kosten auch nur Geld.

Behinderte – naja, einige können sich ein bisschen nützlich machen.

Aber ist die Kirche nicht eine ganz andere Kategorie? Sicher.

Oder doch nicht? Was ist, wenn die wahre Kirche nicht die ist, wo ich als Privilegierter bin, sondern genau da, wo jene sind, die keine Relevanz mehr für irgendjemanden haben, die niemanden mehr etwas bringen, die keiner braucht?

Aber ist das nicht zu einseitig? Was ist mit jenen, die sich für dieses Nicht-Privilegierten einsetzen? Gehören nicht auch sie zur Kirche? Hm. Irgendwie ja.

Aber was müssten sie tun oder welche Einstellung sollten sie haben, um wirklich Kirche, Gemeinschaft zu sein? Die Jünger kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie alles verlassen haben. Sollen wir alles verlassen? Zachäus hat nicht alles verlassen, hat aber dennoch seinem Leben eine Wende gegeben, die die Armen nicht mehr ausbeutet. Und der Samariter muss auch ein wenig Vermögen gehabt haben, um sich dem Verletzten zuzuwenden?

Sollte die Kirche also doch wieder unter das Nützlichkeitsparadigma fallen? Kirche nur dort, wo sie auch etwas nützt? Hm.

Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden. Aber vielleicht habt ihr eine!


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