Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Verzicht ist doof

Titelbild: Verzicht ist doof

Es ist doof. In den letzten zwei Monaten bin ich wieder mit der Nase auf das Thema Verzicht gestoßen worden.

Dieser Beitrag ist keiner über Klimaschutz. Aber dieses Thema zeigt sehr schön, wie gern wir dem Verzicht ausweichen wollen. Darum geht’s gleich im Anschluss. Gleichzeitig wird in unserer Gesellschaft der Verzicht fast schon zum Must-do. Davon spreche ich im Anschluss. Und auch ein wenig über mich.

 

Dem Verzicht ausweichen

Zunächst also zu meine Überlegung im Kontext der Klima-Debatte:

Wollten wir effektiv gegen den Klimawandel vorgehen, müssten wir unseren Lebensstil verändern. Wird oft behauptet. Was genau ist zu tun? Das ist die große Frage, die der:die Einzelne gar nicht ausreichend beantworten kann. Ein paar Antworten, die gegeben werden, sind: erneuerbare Energie ausbauen, weniger Fleisch essen, weniger Individualverkehr, weniger Flächenversiegelung usw.

Es ist mir jetzt nicht so wichtig, was man von diesen Maßnahmen hält. Eine Frage, die hinter der aufgeheizten Debatte steht: Müssen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels auch Verzicht in unserem Lebenwandel bedeuten?

Diese Frage wird auf der Ebene des Individuums verhandelt. Was meine ich damit: Es ist zumeist eigentlich gleichgültig, ob „die“ Wirtschaft oder andere Gesellschaften verzichten müssen. Es geht in der Debatte hauptsächlich um den Verzicht, der mich in meinem persönlichen Lebensstil betrifft.

Verzicht wird dabei negativ konnotiert. Und damit ist der Verzicht etwas, was vermieden werden muss. Das ist der Appell, der wie ein Damoklesschwert über der Klima-Debatte hängt.

Daher machen sich vor allem die Politiker:innen den Ruf nach Verzicht nicht zu eigen. Wer wird auch gewählt, wenn er zu etwas aufruft, was von den meisten Menschen als negativ bewertet wird.

Statt dessen haben sich zumindest drei Strategien entwickelt, dem Verzicht auszuweichen. Diese Strategien möchte ich benennen:

 

1. Es gibt kein Problem

Das ist die einfachste Variante. Wenn es kein Problem gibt, braucht es keine Lösung und damit auch keinen Verzicht!

Manche, die auf diese Strategie setzen, leugnen den Klimawandel.

Andere leugnen zwar den Wandel nicht. Sie leugnen aber, dass es einen menschlichen Einfluss darauf gibt. Und die katastrophalen Auswirkungen für viele Menschen werden geflissentlich verschwiegen.

Da es keinen menschlichen Einfluss gibt, brauchen, ja können wir eh nix tun. Außerdem interessieren die anderen Menschen nicht. Wir sind ja entwickelt genug, um uns an zukünftige Lebensbedingungen anzupassen.

 

2. Das Problem kann durch Weiterentwicklung gelöst werden

Damit ist gemeint, dass niemand auf irgendetwas zu verzichten braucht. Der Klimawandel mit seinen Auswirkungen sowie der menschliche Einfluss wird nicht geleugnet. Es braucht aber keinen Verzicht, weil eine zukünftige Entwicklung unsere jetzige Lebensart sichern kann und zugleich den Klimawandel eindämmt.

Am populärsten ist die Idee, durch technische Entwicklung selbiges zu erreichen. Also etwa so: Wenn es einmal das Wasserstoff-Auto gibt, dann können wir den Individualverkehr beibehalten, weil verbrannter Wasserstoff kein Problem für die Umwelt darstellt.

Eine andere, weniger bekannte Möglichkeit ist zum Beispiel, dass wir keine überflüssigen Lebensmittel mehr produzieren. Damit könnten 10 Prozent Treibhausgasemissionen weltweit eingespart werden. Was heißt: Ich bräuchte in meinem Lebensmittelkonsum – etwa bei Fleisch – auf nichts zu verzichten, denn vermieden wird ja nur der Überschuss, den ich eh nicht kosumiere.


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3. Der Verzicht wird positiv geframet,

wie man heute so schön sagt. In diesem Fall kommt meist das Argument vom Gewinn an Lebensqualität: Wenn wir beispielsweise mehr auf Medienkonsum verzichten oder auch auf anstrengende Urlaubsreisen oder auf die ständige Erreichbarkeit, wäre das ja auch ein Gewinn an Lebensqualität.

Diese Idee wird dann noch sehr stark mit der Natur aber auch mit unseren Emotionen verbunden. Naturerleben biete demnach mehr Lebensqualität als Netflix-Schauen. Das emotionale Eintauchen in ein Walderlebnis ebenso.

Manchmal mutet diese Variante auch sehr spirituell an, aber eher in einem emotional oder esoterischen Sinn.

Wie gesagt: Eine Variante kenne ich aus der öffentlichen Debatte nicht: „Verzicht ist doof, aber ohne wird es nicht gehen!“

 

Erzwungener und freiwilliger Verzicht – beides doof

Jetzt ist ja gerade Fastenzeit, die landläufig mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Diese verengte Sichtweise ist aber nicht gerade christlich.

Wie auch immer: Dass ich mir Gedanken über das Verzichten mache, hat andere Gründe. Es fällt nur zufällig mit der Fastenzeit zusammen.

Wo stehe ich also derzeit?

Im September 2023 habe ich mit einer Auszeit begonnen. Ich habe mir vorgenommen, mir nichts vorzunehmen. Ein Widerspruch in sich, aus dem ich auch nicht so recht herauskomme.

In Wirklichkeit ging es aber nur darum, dass ich mir keine großen Pläne mache, sondern nur ein paar Ideen nachgehe. Ansonsten wollte ich die Zeit eher auf mich zukommen lassen.

Wenn man aber Ideen umsetzen will, muss man sich einen Plan machen. Vielleicht nicht sehr genau, aber ein wenig schon.

Meine erste Idee war es, so lange ich wollte, in Ghana zu bleiben. Also bin ich Mitte Oktober nach Ghana gereist. Außer, dass ich in den Norden wollte, hatte ich keine konkrete Vorstellung, was ich tun werde.

Zurückgekommen bin ich nicht, weil ich wollte, sondern weil ich durch eine Krankheit gezwungen wurde.

Da haben wir schon mal den ersten Verzicht. In den ersten Tagen nach meiner Rückkehr habe ich den gar nicht so gespürt. Erst mit der Zeit wurde es schlimmer.

Nein. Es war ein erzwungener Verzicht. Wenn ich am Leben bleiben wollte, musste ich heim. Dennoch wurde in mir mit der Zeit alles leer. Ich fühlte mich niedergeschlagen und orientierungslos.

Ein Mehr an Lebensqualität konnte ich nicht erkennen. Und durch keine Hilfe konnte ich von vornherein dieses Gefühl vermeiden.

Nachdem es wieder einigermaßen besser ging, wollte ich andere Ideen verwirklichen. Welche, behalte ich für mich. Jedenfalls schmiedete ich ein paar neue Pläne.

Dann aber kam ich zum Entschluss, diese nicht umzusetzen. Diesmal war es ein freiwilliger Verzicht. Und obwohl er freiwillig war, fühlte es sich nicht überragend an. Ich hatte kein Hochgefühl. Es steigerte meine Lebensqualität nicht. Im Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, dass es mir Lebensqualität raubt.

Ich weiß auch gar nicht, was in meiner Auszeit noch geschehen wird. Ich muss es auf mich zukommen lassen. Eine Idee hätte ich noch. Es könnte aber sein, dass ich wieder zum Verzicht gezwungen bin. Ich weiß es jetzt noch nicht.

Wenn ich also bis jetzt was gelernt habe, dann das:

Ich muss verzichten und das fühlt sich einfach schrecklich an.

 

Verzichten lernen

Dieses „Muss“ aus dem vorigen Satz hat eine zweifache Bedeutung: Einerseits muss ich, weil ich von außen gezwungen werde zu verzichten. Andererseits ist es ein frewilliger Verzicht. Dieser geschieht aber, weil es etwas Wichtigeres gibt, für das ich auf etwas anderes verzichten muss.

Ich bin überzeugt, dass wir verzichten lernen müssen. Und dass wir lernen müssen, das Verzicht auch weh tut, dass er unangenehm ist, dass er uns einschränkt.

Er ist oft notwendig, wenn wir eine gute Zukunft gestalten wollen. Weil unsere unmittelbare Bedürfnisse weniger wichtig sind, als ein gutes Leben für alle – vor allem für die zukünftigen Generationen.

Wir müssen also lernen, dass es über unser individuelles Leben hinaus noch etwas gibt, dass größeren und höheren Wert hat.

Wer sich selbst absolut setzt, der wird das nicht verstehen, der wird nicht verzichten können. Eine narzistische Instagram-Gesellschaft wird den Verzicht immer umschiffen wollen. Man verzichtet da, wo es leicht geht und wo man vor anderen gut dasteht.

Unsere Gesellschaft ist da schon sehr interessant. In der Debatte um den Klimawandel ist der Verzicht sehr umstritten.

Auf der anderen Seite wird der Jänner als Dryjanuary oder Veganuary gerade zum Symbol des Verzichtes. Aber der Verzicht muss leicht von der Hand gehen. Denn wir müssen uns ja in dieser Zeit mit fröhlichem Gesicht in den Sozialen Medien präsentieren und aller Welt sagen, wie toll wir sind, da wir ja jetzt verzichten.

Klar, einen Monat kann man schon durchhalten. Aber warum nur einen Monat?

Das habe ich mich auch immer in Bezug auf die Fastenzeit gefragt: Warum nur 40 Tage verzichten? Wenn das, worauf ich verzichte, nicht gut ist, dann kann ich doch gleich ganz drauf verzichten.

Ja, ich weiß schon. Das ist ja wieder unangenehm und das wollen wir nicht.

In diesem Zusammenhang ist auch eine Aktion der Kleinen Zeitung interessant: Fünf Redakteur:innen verzichten auf irgendetwas in der Fastenzeit.

Verzicht wird zum Experiment. Das geht halt nur in einer Gesellschaft, die ansonsten auf nichts verzichten muss, weil sie im Überfluss lebt. Wo jeder Verzicht ausschließlich als freiwilliger erscheint.

Man stelle sich vor, man hätte dieses Experiment in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht oder macht das heute in Gebieten mit großer Hungersnot.

Aber zumindest machen die fünf Redakteur:innen die Erfahrung, dass echtes Verzichten nicht so lustig ist.

Religionen lehrten durch die Bank, dass Verzicht ein notwendiger Bestandteil der menschlichen Entwicklung ist. Wenn es hier um eine Entwicklung geht, dann nicht um eine technische oder wirtschaftliche, sondern um eine persönliche. Um die Zurückdrängung der egoistischen Anteile in mir und das zur Geltungbringen der berechtigten Anliegen anderer, der gegenwärtigen und zukünftigen Anderen.

Verzicht, der leicht von der Hand geht, stellt keine Grundlage für persönliche Weiterentwicklung dar. Diese Formen des leichten Verzichtens sind evtl. gut für Gesundheit oder Wohlbefinden. Und dagegen ist auch nichts zu sagen. Aber das kann man ja schon. Da gibt es keine Weiterentwicklung.

Was wir also auch lernen müssen: Schmerzhafter Verzicht ist es wert, gelebt zu werden. Weil es eben nicht um mich geht, weil die Welt sich nicht allein um mich dreht, weil es nicht immer und ständig um die Befriedigung meiner Bedürfnisse geht.

Genau das hat Religion immer auch gelehrt: Keinen harten Verzicht um des Verzichtens willen, sondern um einer höheren Sache willen.


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