Afrikanischer Jesus - Diakon Karlheinz Six

Diakon Karlheinz Six

Wunder Jesu: problematische Verständnisse – Teil 1

Bild: Wunder Jesu. Problematische Verständnisse

Was hat es eigentlich mit den Wundern Jesu auf sich? Viel wird herumdiskutiert, wie diese Wunder zu verstehen sind. Im ersten Teil bespreche ich Wunderverständnisse, die verbreitet sind, die ich aber für problematisch halte. Vom supranaturalistischen bis zum esoterischen Verständnis ist da einiges dabei.

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 44. Folge meines Podcast „aus&aufbrechen“. Dem Podcast für eine offene und kritische christliche Spiritualität.

Mit den so genannten Wundern Jesu tun sich viele schwer. Alles Märchen. Christliche Propaganda. Gar nicht wahr.

Oder vielleicht doch: Jesus erweist seine Macht. Kann alles wieder gut machen. Naturgesetze spielen dabei keine Rolle.

Die einen Gläubigen nehmen die Wundergeschichten so, wie sie gerade da stehen. Die anderen denken nicht weiter nach, weil sie mit solchen Geschichten nichts anfangen können. Und die, die das Christentum ablehnen, sehen gerade in den Wundern den Grund ihrer Ablehnung; denn das kann’s ja gar nicht geben.

In zwei Episoden möchte ich darauf eingehen, was es mit den Wundergeschichten auf sich hat. In dieser ersten Episode möchte ich ganz allgemein über Wunder und ihr Verständnis sprechen. Ich werde sechs verschiedene Verständnisse von Wunder vorstellen, die weit verbreitet, aber aus meiner Sicht problematisch sind. In der nächsten Episode gehe ich dann auf ein paar konkrete Wundergeschichten ein, um eine Alternative zu den gängigen Verständnissen zu bieten.

Bevor du dich aber wunderst, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass du meine Arbeit auch finanziell über ko-fi oder Paypal unterstützen kannst. Ich mache ja diesen Podcast und meinen Blog „ziellos unterwegs“ in meiner Freizeit und finanziere daher alles privat. Mehr Infos dazu in den Shownotes. Dort findest du auch Kontaktmöglichkeiten mit mir. Denn ich freue mich immer über Kommentare. Gern kannst auch auf meiner Webseite vorbeischauen.

Also: Beginnen wir einmal so. Stellen wir uns vor, da wird jemand blind geboren oder ist gelähmt. Der oder die kommt zu Jesus. Der sagt oder macht was. Und der*die Blindgeborene kann wieder sehen und der*die Gelähmte wieder gehen. Solche Geschichten gibt es ja einige in der Bibel.

Wenn das ein Wunder sein soll, dann denken viele so: Rein medizinisch hat es für diese Blindheit oder Lähmung keine Heilung gegeben. D. h. die so genannten Naturgesetze haben vorgesehen, dass es für diese Krankheiten in genau diesen Fällen keine Heilung geben kann. Zumindest so lange nicht, bis wir den Naturgesetzen folgend ein Heilmittel gefunden haben.

Und genau das ist jetzt das Wunder, dass da einer die Macht hat, einfach über den Naturgesetzen drüberzustehen, sie außer Kraft zu setzen und die Betroffenen zu heilen. Wunder – so versteht man es in diesem Zusammenhang – heißt, dass etwas geschieht, was die Naturgesetze nicht hergeben, was die Naturgesetze durchbricht, sie einfach missachtet. Wo doch jeder weiß, dass Naturgesetze eigentlich niemals missachtet werden können. Denn sie sind ja eine andere Art von Gesetzen als die des Staates. Wer staatliche Gesetze bricht, wird bestraft. Aber die Natur lässt keinen Gesetzesbruch zu. Außer – ja, außer es kommt jemand, der die Macht, es dennoch zu tun.

Dieses Verständnis von Wunder nennt man supranaturalistisch. „Supranaturalistisch“ heißt übersetzt „über der Natur“. Also jemand steht über der Natur und kann in diese Eingreifen, wie er will. Die Vertreter*innen dieses Wunderverständnisses argumentieren folgendermaßen: Gott ist der Schöpfer der Welt, also auch der Naturgesetze. Er ist der Gesetzgeber und steht daher – wie ein absolutistischer König – über dem Gesetz. Und als solcher kann er ja jederzeit dieses auch außer Kraft setzen.

Viele Menschen können aber mit diesem Verständnis nichts mehr anfangen. Aus verschiedenen Gründen. Ein Hauptproblem sehe ich darin, dass Gott zu einem Willkür-Gott wird: Er greift mal da und mal dort ein, wie es ihm gerade gefällt. Gott würde sich so nicht als verlässlich erweisen, aber auch nicht als gerecht. Denn es wird nicht deutlich, warum der oder die eine geheilt, der oder die andere nicht geheilt wird.

Schöpfung heißt doch wohl auch, dass es so etwas wie Verlässlichkeit gibt. Und der kontinuierliche Ablauf der weltlichen Vorgänge bietet Verlässlichkeit und Sicherheit für die Menschen. Die Bibel sagt es mit folgenden Worten: Gott ist treu. Auch wenn es manchmal schmerzt, wenn Krankheiten nicht geheilt werden.

Aber ich möchte nicht allzu theologisch werden. Vielmehr möchte ich folgendes sagen: Die Bibel selbst schließt ein solches supranaturalistisches Wunderverständnis nicht aus. Sie zwingt uns aber auch nicht, Wunder genauso zu verstehen. Welche alternativen Verständnisse gibt es aber?

Ich möchte nun einige alternative Wunderverständnisse vorstellen. Ich sage aber gleich dazu, dass ich selbst all diesen Verständnissen sehr skeptisch gegenüber stehe. Wunder werden aber sehr oft in einer dieser Formen verstanden. Daher meine ich, dass uns die Auseinandersetzung damit weiterbringt. Die Namen der einzelnen Typen sind von mir.

Also, los geht’s.

1. Das esoterische Wunderverständnis: Die Esoterik ist zu jenem Zeitpunkt groß geworden, als auch die Naturwissenschaften groß geworden sind. Man wollte gegen ein mechanistisches Weltbild antreten. Darunter versteht man, dass die Welt abläuft wie eine Maschine, eben nach ganz klaren Gesetzen. Wie es ja das supranaturalistische Verständnis auch meint. Ein solches Weltbild wird in der Esoterik abgelehnt. Die Welt ist keine Maschine, sondern ein lebendiger Organismus. Diese Vorstellung kommt aus dem New Age. Die Welt wird auch durchdrungen von zahlreichen Geistern und Mächten vorgestellt, die in ihr wirken. Diese sind dann für Heilungen verantwortlich, auch wenn wir das mit unseren mikrigen Sinnen nicht wahrnehmen können. Hier wird der Animismus wiederbelebt.

Dieses Wunderverständnis wendet sich also gegen die Naturwissenschaft. Es hält nicht viel von Naturgesetzen. Ich spreche mich jetzt nicht für ein mechanistisches Weltbild aus. Auch das ist schon überholt. Aber wo wären eigentlich die Esoteriker, würde es die Errungenschaften und Entdeckungen der Wissenschaft nicht geben? Und dass in der Welt Geister wirken, ist eine Annahme, die man mir erst einmal plausibel machen muss.

2. Das schizophrene Wunderverständnis: Naja, vielleicht ist schizophren etwas übertrieben. Es geht darum, dass man hier in einer Gespaltenheit lebt. Man lehnt die Idee von Naturgesetzen nicht komplett ab, sagt aber, dass es noch mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als nur das, was wir mit unserer Vernunft erkennen können. Was dieses Mehr sein soll, wird dann unterschiedlich ausgeschmückt und vor allem ins Emotionale verlegt. Dass die eine Sicht auf die Welt mit der anderen in Widerspruch tritt, ist dabei kein Problem. Die Welt ist voller Widersprüche und Unerklärlichkeiten.

Wenn Jesus nun ein Wunder tut, muss das nicht erklärt werden. Ich verstehe es einfach mit meinem kleinen Verstand nicht. Aber es fühlt sich gut an, dass es da einen gibt, der das kann. Damit ist aber auch ausgeschlossen, dass uns Wunder etwas zu verstehen geben wollen. Bei den Wundergeschichten der Bibel geht es ja nicht bloß um den Geheilten, sondern darum, dass mir als Leser diese Geschichte etwas zu verstehen geben möchte.

3. Das Eine-andere-Weltsicht-Verständnis: Ach, meine Namen werden immer komplizierter. Aber die Sache ist ganz einfach. Gerade gläubige Menschen vertreten diese Ansicht sehr häufig. Sie sagen: Damals, also als Jesus gelebt hat, hatten die Menschen eine ganz andere Weltsicht. So etwas wie die heutige Naturwissenschaft gab es ja noch gar nicht. Damals glaubte man ja, dass Gott bzw. die Götter bei allem Möglichen eingreifen würden. Also ist es auch nicht ungewöhnlich, wenn es zu Heilungen gekommen ist.

Hängt also eine Heilung am Weltverständnis? Müsste ich heute dann nicht einfach meine Weltsicht ändern, damit es wieder Wunder gibt? Gibt es in einer anderen Weltsicht andere Naturgesetze?

Oder anders gefragt: Was hilft mir diese Einsicht weiter, dass es damals ein anderes Weltverständnis gegeben hat? Ich muss ja diese Wundereignisse in meine Weltsicht einbauen, im Rahmen meiner Weltsicht verstehen. Da hilft der Verweis auf damals nicht weiter.

4. Das Wunder verstehen aus dem Sich-Wundern: Komischer Name, ich weiß. Wird sich jetzt aufklären. Man sagt, dass für die Menschen damals alles das ein Wunder war, wo sie sich gewundert haben. Wir kennen das ja aus der eigenen Erfahrung. Wir wundern uns und dabei spielt die Frage nach den Naturgesetzen gar keine Rolle. Wir haben es nicht erwartet, es ist eingetroffen und wir wundern uns. Und wir meinen damit nicht, dass da Naturgesetze außer Kraft gesetzt wurden.

Man sagt nun: Immer dann, wenn das der Fall ist, dann ist das für den damaligen Menschen ein Wunder. Das erklärt nun aber einerseits gar nicht, wie es dann zu einer Heilung eines Blindgeborenen oder eines Gelähmten kommen kann. Wundern würde mich das auch. Aber nur weil es mich wundert, erklärt es die spontane Heilung nicht.

Andererseits haben sich die damaligen Menschen an Stellen gewundert, die wir heute ganz und gar nicht als Wunder bezeichnen würden. So heißt es beim Evangelisten Matthäus nach der Bergpredigt Jesu, dass die Menschenmengen wegen seiner Worte ins Staunen geriet. Auch Lukas spricht mehrmals davon, dass sich die Hörer*innen der Predigt Jesu gewundert hätten. Aber wir würden die Worte Jesu jetzt nicht als Wunder bezeichnen. Auch bei Matthäus heißt es, dass Pilatus sich wunderte, dass Jesus zu keinem Anklagepunkt Stellung bezog. Ist das Schweigen Jesu jetzt ein Wunder? Und auch Jesus wunderte sich. Das Markusevangelium zum Beispiel erzählt, wie Jesus in seiner Heimat abgelehnt wurde. Jesus wundert sich über diesen Unglauben. Ist der Unglaube der Volksgenossen Jesu nun ein Wunder?

Dieses Verständnis klärt also wieder nichts auf, sondern will sich um das eigentliche Problem nur herumschwindeln.

5. Das Scheinkrank-Verständnis: Der Name erklärt sich ja schon fast von selbst. Es meint, dass jene Krankheiten, die Jesus geheilt hat, reversible Krankheiten waren. Also: Jesus hätte niemanden die Sehkraft wieder geben können, dem man beide Augen ausgestochen hat. Aber wenn ein psychischer Grund für die Blindheit vorgelegen hat, wäre es möglich.

Das Gleiche gilt bei einem Gelähmten. Fehlen ihm zwei Beine, hätte ihm Jesus auch keine zwei neuen wachsen lassen können.

Und wenn Jesus den Lazarus wieder zum Leben erweckt, dann war der nicht wirklich tot, sondern nur scheintot. Und wir alle kennen die Berichte über Klopfgeräusche in Särgen, wo Totgeglaubte gerade noch ihrer Beerdigung oder Verbrennung entgangen sind. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie viele davon übersehen worden sind.

Jesus, der Therapeut, ja, der Psychotherapeut, der den Menschen auf eine so heilsame Art begegnet, dass selbst körperliche Krankheiten wieder heilen. Aber nur die psychosomatischen. Und so müssten wir diese Krankheiten auch verstehen.

Eine kleine Nebenbemerkung: Es gab mal in der Theologiegeschichte die Auffassung, Jesus hätte eine kleine Wanderapotheke mit sich geführt, mit der er die Menschen heilen konnte. Also körperliche Heilung für körperliche Probleme. Das vertritt aber heute niemand mehr.

Zweierlei könnte gegen dieses Wunderverständnis gesagt werden: Die einen würden sagen, dass Jesus hier als Psychtotherapeut, nicht als Sohn Gottes erscheint. Er wäre einfach ein Heiler wie jeder andere Mensch auch.

Für mich jedoch geht all das am tieferen Verständnis der Wunder vorbei und bleibt nur an der Oberfläche stehen.

Nun, gut. Ich bin am Ende angekommen. Inklusive dem supranaturalistischen Wunderverständnis habe ich sechs aufgezählt, die ich problematisch finde. Der Durchgang ist wichtig, weil es uns der Sache näher bringt. Der Hauptgrund, weswegen ich diese sechs Verständisse ablehne, liegt darin, dass sie die Wundergeschichten nur sehr oberflächlich betrachten. Sie gehen nicht in die Tiefe. Wer aber die Wundergeschichten genau liest und sie im Kontext des Evangeliums versteht, wird bald merken, dass die Frage nach den Naturgesetzen völlig überflüssig ist. Dass es um existenzielle Ereignisse geht, die literarisch in Form von Wundergeschichten erzählt werden.

Jesus ist ohne Wundergeschichten nicht als Messias, als Christus, als Retter, als Sohn Gottes zu verstehen. Wir können sie nicht wegstreichen, von ihnen einfach absehen oder sie wegerklären. Vielmehr müssen sie in ihrer existenziellen Tiefe verstanden werden, nicht als historische Problemstellungen.

Wie diese Wundergeschichten existenziell verstanden werden können, das erfährt ihr in der nächsten Folge. Ihr müsst also leider zwei Wochen Geduld aufbringen. Dann aber werdet ihr euch wundern.

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